Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

6. Reflexion der Methode


>> 6.1 Methodenkompetenz
>> 6.2 Methodenvielfalt
>> 6.3 Methodeninterdependenz


6.1 Methodenkompetenz

Bei Portfolios wird eine Lernkompetenz gefördert und zugleich bewertet. Dabei muss die Bewertung den Erfordernissen des Portfolios entsprechen, wenn die Methode hinreichend Kompetenz des Lerners fördern soll. Insoweit verändert sich die Intention der Leistungsbeurteilung tendenziell:

Leistungsbeurteilung bei Portfolios

 

ein Wechsel von einer Beurteilung

zu einer Beurteilung

 

die vorwiegend Wissen beurteilt

die auch Verständnis, Durch- und Ausführungen bewertet

die auf einzelne Ergebnisse fixiert ist

die auch Prozesse des Lernens reflektiert

die sich überwiegend auf schriftliche Ergebnisse bezieht

die eine Vielzahl von Methoden zur Dokumentation von Ergebnissen einbezieht

die am Ende eines Lernprozesses steht

die während eines Lernprozesses bereits eine Selbstevaluation erleichtert

die rangplatzorientiert ist (alle Lerner in Rangfolgen klassifiziert)

die kriteriumsorientiert ist (alle Lerner nach ihren Fähigkeiten fördert)

die auf Selektion gerichtet ist

die unter Beschreibung von Stärken und noch auszugleichenden Defiziten insbesondere der weiteren Förderung des Lerners dient

Portfolios stehen insbesondere gegen eine Vereinfachung der Leistungsmessung, in der kurzfristig Gedächtnisinhalte durch vereinfachte Teststrukturen ohne große Handlungs- und Transferleistungen bloß abgefragt werden. Die Illusion, mittels multiple choice oder Wissens-Abfragemethoden herauszubekommen, welche Schlüsselkompetenzen ein Lerner besitzt, wird gerade durch alternative Beiurteilungsformen, zu denen auch das Portfolio zählt, bekämpft.

Lehrende die Portfolios einsetzen, müssen daher erkennen, dass dies nicht einfach in einem herkömmlichen Setting geschehen kann, das überwiegend einfache Formen klarer Leistungs- und Notenzuweisungen benutzt. Besondere Effektivität gewinnen Portfolios vorrangig als Förderinstrumente, wobei dies keine Beliebigkeit in der Beurteilung meint. Förderung heißt vielmehr, dass

  • es ein kontinuierliches und klares Feedback über erreichte Leistungen und noch zu erbringende und ggf. verbesserte Leistungen geben muss;
  • Zielvereinbarungen Konsequenzen aus erbrachten Leistungen ziehen und diese auch nach einem vereinbarten Plan kontrollieren;
  • die Lerngruppe in den Beurteilungsprozess aktiv einbezogen wird;
  • bei Leistungsnoten immer die Kriterien einer Leistung vor dem Hintergrund der eingebrachten Fähigkeiten und bisheriger Fortschritte des jeweiligen Lerners bewertet werden.

Nun ist eine solche Leistungsbeurteilung immer dann problematisch, wenn eine Selektionsprüfung mit Aufstiegs- oder Einstellungschancen auf Grund von Rang­vergleichen erhoben wird. Dann gibt es ambivalente Wirkungen des Portfolio-Einsatzes, wie die Methode dort gezeigt hat, wo sie flächendeckend in Schulsystemen eingeführt wurde. Diese Probleme wurzeln im handlungsorientierten und individuali­sierten Charakter der Methode:

  • Portfolios lassen sich immer dann, wenn sie den komplexen Erfordernissen der Methode entsprechen, nicht hinreichend eindeutig miteinander vergleichen und daher gleichförmig oder gerecht im Rangvergleich bewerten (zumindest nicht so einfach wie bei Standardtests – auch wenn im scheinbar eindeutigen Rang­vergleich auch zahlreiche Probleme existieren);
  • nicht alle Fächer und alle Themen lassen gleichermaßen eine relativ eindeutige Standardisierung aller erreichbaren Leistungen erreichen;
  • oft fehlt es an Schulungsmaßnahmen der Beurteiler von Portfolios oder auch an hinreichender Zeit und kollegialer Abstimmung unabhängiger Gutachter, um Portfolios hinreichend gerecht zu beurteilen.

Trotz dieser Schwächen im Sinne einer standardisierten Testung muss aber betont werden, dass gerade deshalb Portfolios geeignete Rückmeldungen auch von Leistungsentwicklungen darstellen. Mit ihnen wird nicht nur eine Kurzaufnahme eines auf den Moment setzenden Tests gebildet; sie beziehen Ressourcen und individuelle Lösungen von Lernern in die Bewertung mit ein; sie verbinden Lehrpläne umfassender mit erbrachten Leistungsfortschritten als einzelne Tests; sie erzeugen komplexe Lernsituationen für Feedback, Kommunikation und Dialoge über Produkte und Prozesse zwischen Lehrenden und Lernenden als auch zwischen den Lernenden selbst; sie erlauben leistungsheterogene Gruppen und können auch Lerner mit Förderbedarf sinnvoll einschließen (inclusive education).

Der größte Widerstand gegen Portfolios geht deshalb von Systemen aus, die stärker auf Selektion und weniger auf Förderung setzen, die stärker mittels Rangvergleich Leistungsunterschiede zwischen Gruppen von Lernern in der Illusion errichten, damit allen Lernern helfen zu können, um doch nur einige Lerner gezielter als andere fördern zu wollen – wie es insbesondere typisch für das deutsche Schulsystem ist.

Wer sich vor diesem Hintergrund für Portfolios entscheidet, der sollte die Methode als eine Chance zur Reform des Lehrens und Lernens sehen. Wichtig ist dann folgende Einsicht: Portfolios zeigen zwar eine erweiterte Methodenkompetenz, aber als Methode erzeugen sie auch die Notwendigkeit, dass diese Methodenkompetenz zwischen Lehrenden und Lernenden nicht einfach vorausgesetzt, sondern erlernt werden kann.

Deshalb ist es notwendig, dass bei Portfolios eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden stattfindet, die auf die Voraussetzungen der Lerner ebenso wie auf die Ziele und Rahmenbedingungen des Einsatzes abgestimmt ist. In der Regel setzt dies auch voraus, dass das Lehren und Lernen evaluiert, supervidiert und gecoacht werden, um die wechselseitigen Interessen der Lehrenden und Lernenden besser zu erfassen. Gerade dies ist oft eine Schwäche beim Einsatz der Methode, da man hier am leicht meinen könnte, Ressourcen einsparen zu können. Praktische Erfahrungen jedoch zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Portfolios benötigen bei richtigem Einsatz zusätzliche Energie und Zeit gegenüber herkömmlichen Bewertungs- und Evaluationsverfahren.

Einige Didaktiker verweisen auch nach positiven Erfahrungen darauf, dass sich die Methode z.B. in der Lehrerausbildung effektiv als ein Forschungsinstrument mit Diskursen zwischen Forschenden und Lehrenden einsetzen lässt, wenn das Portfolio beispielsweise herkömmliche Examensarbeiten ersetzen würde. Hier lassen sich umfassende partizipative Perspektiven entwickeln, die insbesondere den angehenden Lehrern in eigener Erfahrung ein neues Lernverständnis eröffnen. Grant und Huebner (in Lyons 1998, 152) etwa schlagen vor, dass Portfolios in der Lehrerausbildung folgende Kriterien einer umfassenden Methodenkompetenz aufweisen sollten:

  • Sie sind zur Förderung einer reflektierten Praxis gestaltet.
  • Sie werden mit KollegInnen geteilt und kommuniziert.
  • Sie ermöglichen eine verstärkte Kooperation zwischen Lehrenden und Lernenden.
  • Sie beruhen auf hoher Freiwilligkeit, die die Lehrenden in die Gestaltung einbringen, und dienen nicht bloß der Benotung und einer kontrollierenden Absicht.
  • Sie werden durch gute Bedingungen des Lehrens und Lernens unterstützt (Zeit, Info-Quellen, Beratung, materielle Unterstützung usw.)
  • Sie orientieren sich am grundlegenden Ziel einer reflektierenden Lehr- und Lernkultur, die Gestaltungsfreiheiten lässt, und sie vermeiden eine bloße Checklisten-Abarbeitung, nach denen bloß oberflächliche Portfolios zu reinen Prüfungszwecken zusammengestellt werden.

Methodenkompetenz auf dieser Grundlage ist nicht einfach instruierbar, sondern muss von den Beteiligten gewollt sein. Gerade hier wird der konstruktivistische Hintergrund, der sehr oft im englischen Sprachraum die Portfolio-Methode leitet, entscheidend. Portfolios können das Lernverständnis der konstruktivistischen Didaktik besonders gut und effektiv ausdrücken: „Portfolio benötigt eine konstruktivistische Pädagogik, die folgendermaßen charakterisiert ist: Möglichkeiten, um das Lernen zu analysieren; Erleichterung des Lernens durch Lehrer; Gruppen- und Partnerarbeiten; Dialoge zwischen Lehrenden und Lernenden über das Lernen; verfügbare Unterstützung und Zusammenarbeit.“ (Klenowski 2000, 138)

 


6.2 Methodenvielfalt

Portfolios gehören für die konstruktivistische Didaktik zur Methodenvielfalt unabdingbar dazu. Alle Lerner sollten in ihrer Lernbiografie sich mit Portfolios auseinander setzen können, wobei ein Beginn auf frühen Stufen des Lernens sinnvoll, auf höheren Stufen notwendig erscheint. Portfolios lassen sich besonders gut mit anderen handlungsorientierten Methoden verknüpfen.

Dabei ist zu bemerken, dass Portfolios durch eine breite Streuung der in ihnen präsentierten Materialien und Dokumente selbst zu einer Vielfalt des Lernens und der Lernanlässe beitragen können. In ihnen besteht nicht nur die Chance, die handlungsorientierte Eigenaktivität der Lerner zu fördern, sondern auch das methodische Spektrum der dargestellten Arbeiten von vornherein zu erweitern.

 


6.3 Methodeninterdependenz

Portfolios haben prinzipiell einen hohen interdepedenten Zusammenhang zu anderen Methoden, weil sie sowohl mit allen größeren und teilweise kleineren Methoden direkt verbunden werden können (z.B. im Sinne einer Dokumentation) als auch selbst methodische Reflexionen anregen und gestalten lassen.

Im Blick auf die Methodeninterdependenz muss allerdings auch gesagt werden, dass Portfolios stärker als insbesondere frontale, dozierende oder lehrerorientierte Methoden einen kontinuierlichen Kontakt mit dem handlungsbezogenen Austausch von Arbeitsergebnissen und einem Dialog hierüber zwischen Lehrenden und Lernenden voraussetzen, wobei in die Beurteilung und Bewertung der Portfolios dabei stärker subjektive Faktoren einfließen als etwa in standardisierte Testverfahren. Im Klassenzimmer sammeln Lehrende hier z.B. Daten über die Qualität von Arbeiten, über Fähig- und Fertigkeiten in Handlungen, über den Gebrauch und das Feedback, was alles als Hintergrund in die Bewertung von Portfolios mit einfließt. Die damit gesteigerte subjektive Betrachtung und dialogische Auseinandersetzung sollte keinesfalls als Nachteil, sondern als besonderer Vorteil der Methode gesehen werden, da diese Art der Beurteilung für das spätere Arbeitsleben bestimmend und realistisch sein wird. Das Problem standardisierter Tests ist es nämlich, dass sie überwiegend nur im Rahmen von Ausbildungsgängen eingesetzt werden und für das spätere berufliche Leben nicht maßgebliche Maßstäbe setzen. Zudem ist die Art des Feedbacks, wie es bei Portfolios geübt wird, für das weitere Lernen förderlicher als ein formales Testverfahren, weil es präziser jene Stellen benennen kann, wo Förderbedarf besteht und vor allem wie dieser konkret geleistet werden kann. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Portfolios in der Gesamtbewertung des Lerners nicht dominant sein sollten, sondern ihrerseits nur einen Teil der Bewertung abdecken können, der nach Erfahrungen in unterschiedlichen Institutionen etwa zwischen 10 und 20 Prozent liegen könnte.

Auch wenn Portfolios prinzipiell eher als individuelle Leistungsform gewählt werden, so ist eine Verbindung zum kooperativen Lernen immer sinnvoll und wünschenswert. Auch dies begründet sich aus dem späteren beruflichen Leben, wo Teamarbeit meist der Schlüssel zum Erfolg ist. Hier wird in der Zukunft noch mehr als bisher zu überlegen sein, inwieweit Teamarbeit in der Art etwa von Projekten durch Portfolios dokumentiert werden sollte und wie dies als Gruppenbewertung in eine Individualbewertung eingehen kann.