In der Moderne soll ein universeller, rationaler ethischer Code gelten (vgl. Moderne). Diesem Code sollen alle Menschen wechselseitig verpflichtet sein. Dies hat den Vorteil: Komplementär zu den in der Moderne geltenden Rechten werden Pflichten gesetzt, die jene garantieren.
Als ein Beispiel haben wir Artikel 4 der Menschen- und
Bürgerrechte von 1791 gewählt: "Die Freiheit besteht darin,
alles tun zu können, was keinem anderen schadet". Im Nebensatz
wird eine Grenze der Freiheit eingeführt. Der Wille des Einzelnen,
alles tun zu können, wird durch die Grenze, dass keinem anderen
geschadet werden darf, beschränkt. Wichtig ist: Gilt diese Grenze für
alle, also allgemein, dann sind damit das Recht und die Freiheit jedes
Einzelnen gewahrt. Idealer weise: Jeder tut, was er will und keinem wird
geschadet.
Formal lässt sich diese Konstruktion so bestimmen: Rechte sind an
Pflichten gekoppelt. Wenn jemand ein Recht hat, dann hat er auch eine
Pflicht. Jemand genießt Rechte, die die Anderen ihm einräumen,
weil sie Pflichten gegen ihn haben. Die Anderen genießen dieselben
Rechte, und folglich hat jener dann die Pflicht, diese anzuerkennen. Das
Freiheitsrecht schließt also die moralische Pflicht, niemanden zu
schaden, ein.
Einen Schatten dieser wechselseitigen Konzeption - aus postmoderner Sicht - haben wir schon dargestellt: Die Wechselseitigkeit des ethischen Codes kann berechnend werden (vgl. Moderne). Ein weiterer Schatten ist: Die Verpflichtung auf eine ethischen Code kann nicht die individuelle Verantwortung ersetzen. Verantwortung geht auf das Individuum zurück, denn sie meint, ihm die Folgen seines Handelns zuzurechnen (vgl. ethische Krise). Erst dann wird ein unmoralisches Handeln, nicht nur als einen Verstoss gegen eine allgemeine Verpflichtung wahrgenommen, sondern als Folge einer individuellen Entscheidung. So gesehen kann das Individuum seinen Verantwortung nicht an ein Pflicht abgeben. Es kann nicht mittels Verpflichtung aus der Verantwortung entlassen werden.
Bauman meint deshalb - entgegen der gewohnten Sicht -, die Pflicht ist "mühelos" (vgl. Baumann 1995: 152). Sie suspendiert die freie Entscheidung. Verantwortung hingegen, so darf man im Umkehrschluss schließen, lädt dem Einzelnen die Mühe auf, aus Freiheit ethisch zu handeln.
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