Vorwort zur zweiten Auflage
Die zweite Auflage wurde gegenüber der ersten um einige Punkte erweitert und präzisiert. Insbesondere die Bezugnahme auf den Pragmatismus, aus dem der interaktionistische Konstruktivismus viele Einsichten ableitet, wurde deutlicher gemacht. Das Kapitel IV.3.3.3.3 wurde komplett neu gestaltet. Aber auch in anderen Kapiteln wurden zahlreiche Veränderungen vorgenommen.
Bei der Entscheidung, die zwei Bände nochmals als Bücher zu publizieren oder sie in der Neuauflage online verfügbar zu machen, standen für mich vor allem Erwägungen der Rezeption im Vordergrund. In einer Online-Version lassen sich für die wissenschaftliche Arbeit, auf die hin beide Bände vorrangig zielen, sehr viel leichter elektronische Suchtools (Namenssuche, Suche von Sachbegriffen) einsetzen. Hierfür kann z.B. im Acrobat Reader die erweiterte Suchfunktion genutzt werden. Auch die mögliche Auswahl von Zitaten wird erleichtert. Zudem ist durch die kostenlose Nutzung ein Zugang leichter möglich. Die beiden Bände wären als Bücher sehr teuer gewesen. Daher zog ich es letzten Endes vor, obwohl ich lieber Bücher in den Händen halte als sie eher flüchtig ins Netz zu setzen, hier die Chance zu nutzen, die Zugänglichkeit dieses eher theoretischen Werkes zu erhöhen. Hier mache ich es der Nutzerin oder dem Nutzer besonders leicht, indem ich verschiedene Versionen des Downloads des gesamten Buches, einzelner Teile (geordnet nach Kapiteln) oder auch einer unmittelbaren Einsicht über Internetseiten ermögliche, die je gewünschte Form zu finden. Ein Download als Ebook ist ebenfalls möglich. Seitenzahlen zum Zitieren finden sich in der PDF-Version, auf den Internetseiten ist der reine Text der Kapitel ohne Seitenzahlen gespeichert. Das Copyright bitte ich trotz der leichten Zugänglichkeit zu berücksichtigen. Der Gebrauch von Textteilen außerhalb kommerzieller Interessen in Seminaren von Hochschulen ist ausdrücklich gestattet.
„Die Ordnung der Blicke“ nimmt direkt Bezug auf den Titel „Die Ordnung der Dinge“ („les mots et les choses“) von Michel Foucault. Der gewählte Titel steht als Metapher für eine erkenntniskritisch neue Sicht: Die Dinge benötigen immer einen Beobachter, der über seine Perspektiven, seine Blicke, eine Ordnung herstellt. Dabei soll allerdings nicht das Missverständnis entstehen, dass dies nun eine Beschränkung auf das Blicken, das Sehen bzw. das Visuelle bedeutet. Die Blicke als Perspektiven bezeichnen vielmehr in umfassender Weise sprachliche, ästhetische, gegenständliche wie nicht-gegenständliche, materielle wie ideelle Möglichkeiten und Bedingungen von Konstruktionen, die wir als Wirklichkeiten „sehen“. Darin ist die Sprache ebenso wie das Fühlen oder andere sinnliche Tätigkeiten eingeschlossen. Am Ende des ersten Bandes wird sich als ein wesentliches Fazit ergeben, dass eine Beobachtertheorie für den Konstruktivismus nicht ausreicht, wenn er Begründung und Geltung im Kontext mit anderen Diskursen hinreichend beachten will. Hinter den Beobachtern handeln immer auch Akteure, die als Teilnehmer an vielfältige Vorverständigungen ihrer Beobachtungen und anderen Tätigkeiten gebunden sind.
In den vorgelegten zwei Bänden geht es in fünf Schritten um dieses Konstrukt eines „Sehens“, um die Ausarbeitung von konstruktivistischen Perspektiven. Ich nenne die Teile kurz und markiere mögliche Leserinteressen:
Band 1:
Kapitel I.: Der Teil der Beobachter stellt eine Einführung in Vorbedingungen des interaktionistischen Konstruktivismus dar, ohne allerdings die komplexen Positionen dieses Ansatzes bereits vorausschauend zusammenfassen zu wollen. Es wird vor allem einführend deutlich gemacht, weshalb der Beobachter und die Beobachtung entscheidende Kategorien im Konzept des konstruktivistischen Argumentierens sind. Der Leser findet hier eine erste Hinleitung in das Thema, die in den späteren Kapiteln wieder aufgenommen und differenziert wird.
Kapitel II.: Die Kränkungsbewegungen der wissenschaftlichen Verobjektivierungsversuche zeichnen Veränderungen in der Erkenntniskritik vor allem des 20. Jahrunderts nach, um Unschärfen der Erkenntnis (vorrangig für den Bereich der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften) herauszuarbeiten. Erst aufgrund dieser Unschärfen wird deutlich, weshalb heute der Konstruktivismus eine relevante und wählenswerte Position in der Erkenntniskritik ist. Dabei wird eine Argumentation entfaltet, die aus der Auseinandersetzung mit verschiedenen Ansätzen heraus die Voraussetzungen und Begründungen einer interaktionistisch-konstruktiven Theorie immer deutlicher erkennen lässt. Die drei hervorgehobenen Kränkungen stehen scheinbar für sich (oft wird nur die erste wahrgenommen), aber die Argumentation zeigt nach und nach, dass und wie sie ineinander wirken. Der Leser findet hier eine sehr ausführliche Herleitung der (oft implizit in anderen Ansätzen liegenden) konstruktivistischen Annahmen, die er so für sich rekonstruieren kann. Die dabei abverlangten theoretischen Mühen ergeben sich aufgrund der Differenziertheit der vorliegenden Diskussionen. Wer sich die Mühe macht, der wird allerdings auch durch ein tieferes Verständnis der Herleitung konstruktivistischer Ansprüche belohnt.
Band 2:
Kapitel III.: Die Beziehungswirklichkeit ist ein eigenes Beobachtungsfeld, dessen besondere Logik gegenüber den wissenschaftlichen Verobjektivierungen zu betonen ist. Die hier erforderlich werdende Beobachtungstheorie beschreibt aber keine rein subjektive, sondern eine intersubjektive, eine interaktionistische Welt. Der Leser, der sich an dieser Stelle orientiert, findet einen Zugang, der zwar durch die Herleitungen aus Kapitel II begründet, aber durchaus eigenständig entwickelt wird.
Kapitel IV.: Die Lebenswelt ist eine Perspektive, die wissenschaftliche Verobjektivierungen und zwischenmenschliche Beziehungen zusammenführen muss. In diesem Teil wird dem Leser deutlich, weshalb der Konstruktivismus immer eine soziale Ausrichtung haben sollte und was bei einer solchen Ausrichtung vorrangig bedenkenswert erscheint.
Kapitel V.: Die Fragen an den interaktionistischen Konstruktivismus können ebenso wie das Kapitel I. ein Einstieg in das Thema sein, weil hier im Nachhinein reflektiert wird, was die drei Teile der Argumentation (Kapitel II bis IV) bedeuten und in welchem Kontext sie zueinander stehen. Da man in den einzelnen Kapiteln aufgrund der Ausführlichkeit der Argumentation leicht den Überblick verlieren kann, besteht hier für den Leser die Chance, vom Schluss her die Hauptkapitel neu oder anders zu lesen. Wer in erster Linie den zweiten Band nutzen will, der sollte zunächst dieses Kapitel lesen.
Die Begrenztheit meines Beobachtens ist in der Erstellung der Argumentation immer wieder durch die Vielfalt anderer Beobachter erweitert worden. Heike Reich hat mich nicht nur unterstützt, sondern an entscheidenden Stellen auch nicht aufgegeben, mir weiterführende Fragen zu stellen. Besonderer Dank gebührt Stefan Neubert, der sich der Mühe unterzogen hat, immer wieder die Stringenz der Argumentation zu prüfen, zu kritisieren und mit Verbesserungsvorschlägen zu begleiten. Holger Burckhart hat als transzendentalpragmatisch orientierter Denker sich als Kritiker erwiesen, der mir eigene Schwächen aufgezeigt hat, obwohl ich die Kritik nur in den Grenzen meiner Konstruktionen aufnehmen konnte. Roberto Llaryora, Johannes Wickert und Lutz Kramaschki haben mir wichtige Hinweise gegeben. Für die zweite Auflage waren mir viele Diskussionen mit amerikanischen Kolleginnen und Kollegen aus pragmatistischer Sicht sehr hilfreich. Danken möchte ich neben vielen anderen vor allem Jim Garrison, Larry A. Hickman, Jim Campbell, William Gavin, Judith Green, Kenneth W. Stikkers.
Wolfgang Zurborn hat das Titelbild aus seinem Zyklus „Im Labyrinth der Zeichen“ zur Verfügung gestellt. Michael Brügge hat die Karikaturen in Band 2 gefertigt. In der redaktionellen Begleitung haben Gabriele Wahlen, die auch die Namensregister der ersten Auflage fertigte, und Karolina Ramahi mich freundlich unterstützt. Irene Behrends vom Luchterhand Verlag möchte ich für ihren Einsatz für die erste Auflage danken.
Den Kölner Studentinnen und Studenten, die seit Jahren mein Projekt begleitet haben, gebührt Dank für ihre Geduld und ihre Fragen. Dies gilt insbesondere für meine Doktorandinnen und Doktoranden, die auch durch eigene Arbeiten zur Weiterentwicklung des Ansatzes beigetragen haben. Die meisten Fragen in Kapitel V sind aus gemeinsamen Seminaren heraus entstanden.
Weitere Informationen über den interaktionistischen Konstruktivismus kann man aktuell im Internet auf meiner Konstruktivismusseite abrufen unter http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/,
hier finden sich unter Reich Werke Online auch fast alle Aufsätze und teilweise auch Bücher, die viele der in diesen beiden Bänden theoretisch abgehandelten Punkte bis auf konkrete Praxisebenen insbesondere der Pädagogik heben. In den Buchreihen finden sich auch weitere Arbeiten zur Weiterentwicklung des Ansatzes. Dabei bitte ich auch die englischen Seiten zu beachten, auf denen sich Arbeiten zur Rezeption und Diskussion im englischen Sprachraum befinden.
Auf eine „weibliche“ oder gemischte Grammatik, wie es gegenwärtig oft konstruiert wird, habe ich mit Rücksicht auf die Lesbarkeit verzichtet. Auch wenn ich in anderen Arbeiten gerne eine gemischte Grammatik benutze, so bitte ich die Leserinnen um Verständnis für dieses Konstrukt bei dem ohnehin schon recht komplexen Text.