Kersten Reich: Die Ordnung der Blicke. Band 1: Kapitel II.2.5

   

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2.5. Luhmanns Entsubjektivierung des Konstruktivismus

In anderer Weise und radikaler als Habermas entsubjektiviert Luhmann die Verständigungsgemeinschaft. Er sieht die Wissenschaft und in dieser den Konstruktivismus, der durch Beobachter konstituiert wird, als Funktionssystem der Gesellschaft. Sein konstruktivistischer Anspruch geht von der These aus, „dass eine adäquate Erkenntnistheorie zu einer funktional differenzierten Gesell­schaft passe, also der Tatsache der Ausdifferenzierung eines Funktionssystems Wissenschaft Rechnung tragen, ja diese Bedingung ihrer Möglichkeit reflektieren muss.“ (Luhmann 1992 a, 7) Diese sehr allgemeine Aussage, die zunächst nichts über die Widersprüchlichkeiten des Funktionssystems Gesellschaft, über in ihr liegende Interessengegensätze und subjektive Kämpfe aussagt, sondern nur verallgemeinernd eine Art Allanwendung – einen Blick auf das System –intendiert, will die Bedingung der Möglichkeit wissenschaftlicher Reflexion auto­logisch fundieren. Autologisch meint hierbei, dass sich der Wissenschaftler in dem Zirkel seines eigenen Tuns zu beachten hat. In dieser Zirkularität, so versucht Luhmann nachzuweisen, zeigt sich die Verflechtung von Forschungsbedingungen und Forschungsresultaten.
Er konstruiert hierbei eine eigene Kunstwelt von Unterscheidungen, die uns begriffliche Ordnung versprechen. Einige wichtige dieser Begriffe sind z.B.:

  • Autopoiesis und Selbstreferenz: Systeme (soziale, politische, ökonomische usw.) beziehen sich auf sich selbst, sie sind selbstreferentiell, sie stellen sich selbst her. Sie sind abgegrenzt von ihrer Umwelt und haben jeweils einen spezifischen binären Code (im Rechtssystem z.B. Recht – Unrecht). Die Codierung beinhaltet eine Komplexitätsreduktion, die dem System gegenüber der Umwelt eine höhere, wenngleich reduzierte Ordnung verleiht. Ihre je eigene Struktur, die Erwartungen und Erwartungserwartungen verkörpert, bestimmt ihre Funk­tionen. Systeme beschäftigen sich mit sich selbst in funk­tionaler Weise.
  • Operation und Beobachtung: Erkenntnis wird konstruiert, es gibt keinen Zugang zu einer erkenntnisunabhängigen Realität. Dies teilt Luhmann mit anderen konstruktivistischen Ansätzen. Innerhalb eines autopoietischen Systems analog zu Maturana ist nun die Operation die Reproduktion eines Elements dieses Systems innerhalb des Systems. Operationen sind aneinander anschlussfähig. Wenn Aussagen innerhalb eines Systems an andere Aussagen anschließen, dann ist eine Operation gegeben, die das System entwickelt. Entscheidend ist, dass die Operationen verschiedener Systeme nicht miteinander kombinierbar sind. Gedanken z.B. können nur an Gedanken anschließen, organische Verdauungsvorgänge an organische Verdauungsab­folgen, aber eben nicht an Gedanken. In der Beobachtung können Beobachter daher auch nur innerhalb der Systeme ihrer Beobachtung beobachten, wobei Unterscheidungen entstehen, die sich für jedes System als ein Netzwerk von Unterscheidungen ausweiten lassen.
  • Strukturelle Kopplung: Diese bezeichnet die Beziehung zwischen unterschiedlichen Systemen. Innerhalb des Systems werden alle Elemente, aus denen es besteht, selbst erzeugt. Psychische Systeme z.B. erzeugen Gedanken, die operativ gehandhabt werden können. Aber psychische Systeme können nicht kommunizieren. Soziale Systeme hingegen erzeugen Kom­muni­kationen, obwohl sie nicht denken können. In ihnen ist jedoch Gedachtes durchaus enthalten. Deshalb sind psychische Systeme eine Umwelt für soziale Systeme, was ihre strukturelle Kopplung ermöglicht. Soziale Systeme (als Interaktionen, Organisationen und Funktionssysteme wie Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Recht, Kunst, Erziehung) sind über Sprache mit psychischen Systemen strukturell gekoppelt. Strukturelle Kopplung lässt damit trotz der Selbstreferenz die Möglichkeit zu, Verstörungen in die andere Systemebene wirken zu lassen, so dass diese als Irritationen zum Auslöser für neue Entwicklungen innerhalb des Systems werden können.
  • Differenz: In der Beobachtung operiert ein Beobachter, der auf der Systemebene systeminterne Operationen vollzieht und diese kommuniziert. Wenn wir das Rechtssystem beobachten, dann beobachten wir dieses immer schon in seinen Begriffen und Operationsmöglichkeiten. Wir können nur das sehen, was in dieser Vorgabe sichtbar ist, der Rest bleibt ein blinder Fleck. Aller­dings ist es möglich, dass ein Beobachter des Beobachters durchaus in den Operationen unseren blinden Fleck entdeckt, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass auch dieser einen blinden Fleck haben wird. In der Beobachtung zweiter Ordnung wird die Welt jedoch polykontextural, d.h. wir sehen sie komplexer. Differenzen werden stets neu hervorgebracht, sie emergieren.
  • Kontingenz: Sie bezeichnet die prinzipielle Offenheit menschlicher Lebenserfahrungen. Bei Luhmann wird die Offenheit möglicher Umwelten durch die Komplexitätsreduktionen in den Systemen begrenzt. Kontingenz bedeutet, dass es immer unterschiedliche Handlungsoptionen gibt. Hier ist eine Auswahl unvermeidlich. Doppelte Kontingenz entsteht in der Interaktion, da hier beide Interaktionspartner aus ihren Handlungsoptionen auswählen können und dies dann auch noch als Erwartung an den jeweils anderen als eine Zunahme an Handlungsmöglichkeiten rückzukoppeln. Soziale Systeme sind an doppelte Kontingenz gebunden, aber um der Beliebigkeit entgegen zu wirken, bilden sie zugleich eigene Strukturen aus und operieren nur in diesen.

Auch wenn es Luhmann mit dieser Begrifflichkeit, die hier nur einführend genannt werden kann, gelingt, interessante neue Theorien aufzustellen, so scheint er mir Möglichkeiten und Notwendigkeiten explizit konstruktivistischer Theorienbildung und hierbei insbesondere die Rolle des Beobachters und der Beobachtung in mehrfacher Hinsicht zu reduzieren und mit idealtypischen Beschreibungen auch aus der konkreten Lebenswelt zu entfernen.1
Ein Grundanliegen besteht bei Luhmann – ganz im Gegensatz zu der von mir vertretenen Beobachter-,  Teilnehmer- und Akteurstheorie – darin, dass er Bewusstsein und Kommunikation trennen will (vgl. ebd., 32 ff.). Diese Trennung ist von dem Anspruch geleitet, sich von Auffassungen zu lösen, die das Subjekt in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtungen stellen. Luhmann hingegen will sich von der Zurechnungsfunktion auf das Subjekt lösen. Damit werden für die Interaktion gänzlich neue Perspektiven gewonnen und Analysen möglich. Betrachten wir zunächst die neuen Chancen.
In der Loslösung vom Subjekt reflektiert sich insbesondere die soziologische Einsicht, dass in den Funktionsweisen des Wissens in der Gesellschaft nie nur ein Subjekt maßgebend sein kann, ja, dass die Illusion des Subjektiven schließlich dadurch gesprengt wird, dass man die Subjektivität selbst in ihrer Kommunikation betrachtet „und unter Kommunikation eine stets faktisch stattfindende, empirisch beobachtbare Operation versteht.“ (Ebd., 14) Aus soziologischer Sicht soll so eine Umstellung „von Sprache auf Kommunikation stattfinden, was der linguistischen Wende, wie ich sie für Habermas diskutierte, eine neue Wendung gibt. Luhmann will den Begriff des Wissens auf der Grundlage einer solchen Umstellung radikal entanthropologisieren und die Zurechnungskonventionen auf Subjekte oder Menschen durch Unterscheidungen wie Bewusstsein/Kommunikation oder Opera­tion/Be­obachtung ersetzen (ebd., 62). Ein System beschreibt hierbei für Luhmann nun nicht einfach die Zusammensetzung aus bestimmten Teilen. Vielmehr nimmt Luhmann das Geschehen als einen Vorgang auf, das sich in seiner Entwicklung auf sich selbst bezieht. Ein solches Geschehen ist beobachtbar, aber der jeweilige Beobachter ist seinerseits wiederum Teil des Geschehens. Auch beobachten ist eine Operation im System. Systeme entstehen durch Operationsweisen, also durch ein bestimmtes Geschehen, das zu Abgrenzungen führt, so dass ein System entsteht, das sich von einer Umwelt absetzt. Die Differenz von System/Umwelt ist eine grundsätzliche Differenz in Luhmanns Theorie, die immer dann einsetzt, wenn wir bestimmte Systeme beobachten und beschreiben.
Im Unterschied zu allen bisher unter dem Aspekt der Interaktion behandelten Theorien in diesem Kapitel verweigert Luhmann eine Handlungstheorie. Handlungen kommen bei ihm nicht vor, und hierin sehen er und seine Vertreter auch die besondere Stärke des Ansatzes. Das macht zugleich eine kritische Einschätzung schwierig, wenn nicht sogar mitunter unmöglich, weil gegenseitig zugeschriebene Missverständnisse erscheinen. Wenn ich Luhmann mit Kontexten aus Handlungen wie Beobachtung und Beobachter, Teilnahme und Interesse, Akteur und Macht, Kommunikation und Emotion usw. verstehen will, dann finde ich keinen Zugang zur Systemtheorie, weil meine Aussagen das gemeinte Ab­strak­tionsniveau, die neue Begrifflichkeit, die nicht mehr handlungsbezogen und menschlich argumentiert, sondern die Wirkungsweisen der Operationen im System selbst zu beschreiben versucht, verfehlen wird. Hier entsteht allerdings sofort die Frage, was wir mit einer Theorie anfangen sollen, die sich nicht mehr begrifflich und erfahrungsbezogen auf handelnde Menschen einlässt, sondern abstrakte Systeme beschreibt, die wir in ihren Wirkungen für sich betrachten sollen. Der Reiz scheint darin zu liegen, dass wir damit völlig neu auf die Systeme schauen können, in denen wir immer schon universell gefangen scheinen. Die Anwendbarkeit der System­theorie liegt darin, uns abstrakt zu zeigen, was Systeme der Gegenwart sind, ohne dass wir konkret handelnd darin vorkommen. Wir haben es dabei mit einer Beobachtertheorie zu tun, die das System als eigentliche Teilnahme­bedingung deklariert und den Akteur mit seinen Handlungen gänzlich aus der Theorie eliminiert. Der Gewinn liegt darin, dass Luhmanns Systemtheorie alle gesell­schaftlichen Phänomene als Operationen im System nach logischen Verhältnissen erklären kann, indem er sie funktional beschreibt. Aber dies erweist sich zugleich auch als Problem: In dieser Entsubjektivierung und Rücknahme aus den Handlungsbezügen steckt ein funk­tionalistischer Erkenntnisanspruch, der bei Luhmann durch die Setzung einer scheinbar in sich selbst begründbaren Unterscheidungs- und Beobachtungstheorie in höchster Abstraktheit nach logischen Kategorien legitimiert und mit stark vereinfachenden operativen Setzungen (Codierungen) durchgeführt wird. In dieser Verallgemeinerung reklamiert Luhmann zugleich einen konstruktivistischen An­spruch, der jedoch aus meiner Sicht eine sehr begrenzte konstruktivistische Denkweise2entfaltet und auch nicht hinreichende Möglichkeiten einer interaktionell weit entwickelten Beobachtertheorie entwirft.
Diese Kritik will ich gegenüber Luhmann an mir wichtig erscheinenden Stellen exemplarisch betreiben, um damit zugleich Verkürzungen seiner konstruk­tivistischen Sicht zu benennen und Argumente gegen einen solchen reduk­tionistischen Konstruk­tivismus zu sammeln.3 Dabei steht hier die Frage im Vordergrund, inwieweit im Rahmen der zweiten Kränkungsbewegung das implizite Interaktionsmodell als Systemtheorie – also die gänzlich neue Konzeption einer abstrahierten Interaktion auf Systemebene – helfen kann, unsere Sicht auf Interaktion zu präzisieren, zu ergänzen oder zu verwerfen.

a) Kommunikation als entsubjektiviertes System wird bedeutungsarm
Luhmanns Definition von Kommunikation als stets faktisch stattfindender, empirisch beobachtbarer Operation erscheint zunächst als sehr abstrakt. Luhmann selbst bemerkt durchaus das Problem, in das er sich mit seiner theoretischen Setzung der Beobachtung begeben hat. Denn Beobachtung setzt immer ein Subjekt, einen Beobachter, voraus. Für eine Beobachtertheorie macht Luhmann dabei durchaus interessante Angaben (vgl. z.B. Luhmann 1996, bes. 92 ff.). Diese Angaben decken sich oft mit meinen eigenen Ansichten, aber sie unterscheiden sich wesentlich in der Bedeutung des Subjekts in seinen interaktiven Positionen. In meiner nachfolgenden Darstellung kommt es mehr auf diese Unterschiede, weniger auf die Gemeinsamkeiten an.
Der große Unterschied zu den bisher in dieser Kränkungsbewegung diskutierten Interaktionsansätzen liegt darin, dass Luhmann die Interaktion selbst für entsubjektivierbar hält, weil dieses Subjekt im gesellschaftlichen Funktionssystem kaum die Möglichkeit hat, sich eigenständig für andere Zeit-, Raum-, Ding- oder Symbolordnungen oder Vorstellungen zu entscheiden. „Geht man vom Einzelmenschen als Subjekt aus, sind seine Vorstellungen durch Teilnahme an gesellschaftlichen Kommunikationszusammenhängen dermaßen sozialisiert, dass nur die Entscheidungsfreiheiten bestehen, die gesellschaftlich veränderlich gemacht werden können.“ (Ebd., 15) Damit erscheint das Kommunikationssystem als getrennt vom subjektiven Bewusstseinssystem.
Diese Annahme hat zunächst einen hohen Reiz. Sehr oft erleben sich Menschen in gesellschaftlichen Strukturen kaum noch als handelnde Akteure, sondern vielmehr als Zahnräder in einem System, als abhängig von den immer schon gemachten Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen, so dass das einzelne Subjekt kaum mehr als aktiv eingreifend erscheint. Bürokratien, Märkte, Strukturen, komplexe gesellschaftliche Systeme auf unterschiedlichen Ebenen schreiben sich dem Subjekt längst ein, bevor es überhaupt eine Entscheidung treffen kann, und wenn es diese trifft, dann scheinen die Freiräume dafür auch schon begrenzt. Doch was treibt diese Systeme an?
Für Luhmann ist ein Kommunikationssystem „ein an Bewusstsein gekoppeltes, durch Bewusstsein irritierbares System, das aber die eigenen Operationen nur durch die eigenen Strukturen und die eigenen Operationen determinieren kann.“ (Ebd., 46) Da, wo andere die Perspektive des Subjekts gerne einnehmen, um aus der Subjektivität heraus, die von Gefühl, Leidenschaft, Kreativität, Spontaneität usw. getragen ist, das jeweils Unterschiedliche in den Beobachtungen von Wirklichkeit und damit in Konstruktionen von Wirklichkeit anzuführen, da geht Luhmann den umgekehrten Weg, um in der Kommunikation eine Art Mechanismus sich zu rekonstruieren, der sich des Menschen nur bedient, um sich als operational geschlossener Vorgang damit gleichsam selbst zu erhalten.
Diese Position eröffnet uns neue Blicke auf das Interaktionsgeschehen, weil wir nunmehr von der anderen, der strukturellen Seite her auf Funktionen schauen lernen, in die das Subjekt immer schon gestellt ist, so dass wir auch von seinem Verschwinden im System sprechen können. Diese radikale Sicht auf das Verschwinden erzeugt aber von vornherein ein gewisses Dilemma, denn dem möglichen Subjektivismus, den Luhmann kritisieren will, wird nun ein gewisser Objektivismus entgegengestellt, was die Vermitteltheit von subjektiv und objektiv als Setzungen von Beobachtern, Teilnehmern und Akteuren von vornherein negiert. Wer aber trifft diese Festlegungen? Ist Luhmann nicht selbst Beobachter, Teilnehmer und Akteur? Wie sicher kann er sich der Systemebene sein, wenn er sich selbst als blinden Fleck in der eigenen Argumentation erzeugt?
Sehen wir auf unsere bisherigen Annahmen in der Interaktion zurück, dann erscheint es insbesondere erstaunlich, wie leicht Luhmann z.B. die kon­struk­tiven Aneignungsprobleme in der kindlichen Sozialisation übergeht. Wenn wir z.B. weiter oben mit Piaget diskutiert haben, dass es für das Aufwachsen des Kleinkindes entscheidend ist, aus eigener psychischer Aktivität Assimilation und Akkommodation durchzuführen, um über diese psychischen Mechanismen sich permanente Objekte, symbolische Weltvorräte, die Unterscheidung eines Selbst und Fremden als lebensweltliche Perspektive zu ermög­lichen, dann hält Luhmann dem entgegen, dass die hier beobachtbare ständige Repetition einer immer gleich erscheinenden Problemlösung zu denken geben muss. Für ihn ist in großen Teilen schon längst entschieden, was das Kind erst noch zu leisten hat, weil es diese Leistung nur in den Systemen erbringen kann, die bereits selbstreferentiell funktionieren. Er kann sich mit dem Spannungsverhältnis, das in der Begegnung von menschlicher Psyche und Umwelt gegeben ist, nicht zufrieden geben. Er geht statt dessen davon aus, „dass es die Teilnahme an Kommunikation ist, die es nach ausreichender Einübungszeit sinnvoll macht, ein alter Ego zu unterstellen, um Erfahrungen kondensieren zu können. Die Primärerfahrung liegt nicht in einer wie immer rudimentär sich anbietenden Analogie von eigenem und fremdem Erleben, also auch nicht in einer Art Menschenkenntnis; sie liegt in der Notwendigkeit, im Umgang mit Kommunikation zwischen Mitteilung und Information zu unterscheiden und die Differenz dann mit Sinngehalten anzureichern.“ (Ebd., 19)
Kommunikation wird dabei von Luhmann entpsychologisiert.4 Kommunikation ist nicht jedes wechselseitige Verhalten von Menschen, sondern nur ein solches Verhalten, in dem eine Unterscheidung von Mitteilung (kommunikativem Handeln) und Information (Thema, Inhalt der Mitteilung) gemacht wird (vgl. ebd., 38). Nur dieser kognitive, damit auch schon reduzierte, Vorgang wird von Luhmann als Kommunikation bezeichnet. Wo diese Unterscheidung nicht vorliegt, da liegt für ihn nur wechselseitiges Wahrnehmen vor. So gesehen wird das, was menschliche Begegnungen im Wechselspiel von Selbst und Anderen spannungsreich, im Verhältnis eines Bewussten oder Unbewussten imaginativ und spekulativ macht, in konkreten menschlichen Begegnungen auch emotional und ambivalent sich entwickelt, auf Wahrnehmung zurückgenommen, obwohl es dann doch über diese in der Kom­munikation – irgendwie – als operative Anschlussmöglichkeit auftritt. Mag auch der Beobachter diese Wahrnehmung verspüren, als Beobachtung wird sie ihm, wollte man Luhmann folgen, de­finitorisch genommen. Was man nicht entsprechend codieren kann, darüber muss man scheinbar schweigen.
Aber übersieht Luhmann nicht, dass man über all das, worüber er schweigen will, tatsächlich spricht, damit agiert? In jeder menschlichen Beziehung wird bis an die Grenzen des wechselseitigen Verstehens über das kommuniziert, was er als Wahrnehmung verkleinert. Über das, was wir nicht direkt mitteilen können, was nicht direkt und abrufbar als kognitive Information bereitsteht, sondern uns als körperliches Symp­tom, als spontanes Gefühl, als Sympathie oder Antipathie, in unseren Emotionen oder sogar unbewusst erreicht, darüber schweigt die Kommunikation, um als System von Mitteilung und Information erhalten zu bleiben. Wir müssen immer erst codieren, um zu funktionieren. Aber was geschieht, wenn die Codierungen nicht aufgehen? Wenn der binäre Code nicht so einfach dualistisch funktioniert, sondern ambivalent wird? Das kann er nicht, sofern Information und Mitteilung ein funktionales System bleiben sollen. Der Andere nach Sartre oder Levinas, die Spannung nach I und Me nach Mead, die Bedeutung der Verständigungsgemeinschaft für Beobachter und Teilnehmer nach Habermas, sie alle entschwinden und werden durch ein abstraktes System ersetzt, das mittels Allsätzen immer schon operiert, wo zuvor noch agiert wurde.
Die Ausblendung der handelnden Seite aus der Systemsicht ist ein enormer Verlust und er ist nicht über das Themenfeld Wahrnehmung hinreichend zu kompensieren. Es ist auch keine weitere Ebene struktureller Kopplung angegeben, die uns hier helfen könnte, weil allenfalls Sprache als Vermittlung zwischen Ebenen uns irritieren mag. Dieser Verlust erscheint mir als zu groß. Er lässt im Blick auf die Lebenswelt die Unterscheidungstheorie, die das Subjekt tötet, beutungsarm werden, auch wenn das Subjekt in Teilen funktional durch Hintertüren der Argumentation wieder aufersteht. Dies macht nun gerade Luhmanns Theorie auch unangreifbar, denn er kann stets argumentieren, dass die von mir als fehlend beschriebenen Aspekte ja doch Teile von Systemen und ihren Operationen sind, dass sie als Anschlussmöglichkeit und Handlungsoptionen erscheinen, auch wenn Handlungen nun nicht mehr im Fokus der Theorie liegen.
Nun mag Luhmann einwenden, dass auch meine Übersetzungsarbeit doch wieder an der Unterscheidung von Mitteilung und Information ansetzt, um sich mit Sinn aufzuladen. Dabei muss er allerdings auch zugeben, dass die Trennung von Wahrnehmung und Kommunikation gänzlich künstlich ist, weil die Motive dafür, welche Mitteilungen und Informationen übersetzt werden durch diese Unterscheidung selbst nicht erfasst werden können. Die Codierung nach Mitteilung und Information benötigt nämlich nichts, um sich über ihren eigenen Hintergrund oder lebensweltlichen Kontext aufzuklären. Sie verbleibt allein beschreibend. Diese Pointe der Theorie ist zugleich ihre große Schwäche, wenn wir sie mit anderen Ansätzen zur Interaktion und Kommunikation vergleichen. Die Abstraktion von solcher Aufklärungsarbeit führt in eine Bedeutungsarmut – in die Abstraktionen der Luhmannschen Theoriewelten, dies ist meine Ausgangshypothese.

b) Die Illusion sozialer Autopoiesis
Um Luhmanns Modell hinreichend zu kritisieren, ist es unerlässlich, näher nach der Herkunft des funktionalen Schemas zu fragen, das seine Arbeiten anleitet. Dies ist in seinen neueren Arbeiten die Idee der Autopoiesis. Er entnimmt dafür sein Grundkonzept aus der biologischen Theorie Maturanas (vgl. Kapitel 1.5.1.1). Dabei hat sich Luhmann folgendes Szenario konstruiert: Psychische Systeme erarbeiten im Einzelfall ihr Verständnis in einer Art Unendlichkeit, in einer Intransparenz, mit unterschiedlicher Motivation. Wie soll man solche Subjekte für einen funktionalen Fortschritt geltend machen können?
Eben weil diese Subjekte, diese psychischen Systeme in sich so unscharf sind, benötigen sie ein Konstrukt, Kommunikation, was die Unentschlossenheit, Uneinigkeit und Intransparenz auflöst und in ein klares Entweder/Oder überführt. „Wenn Kommunikation in Gang kommt, bildet sie ein eigenes autopoietisches System mit eigenen rekursiv vernetzten Operationen, das sich auf die Fähigkeit des Bewusstseins zur Transparenz auf der Grundlage von Intransparenz verlassen kann.“ (Ebd., 26) Wenn also das einzelne psychische System aufgrund seiner Unendlichkeit schwer funktionalisierbar ist, so benötigen alle psychischen Systeme offensichtlich eine Kommunikation, die als entsubjektiviertes funktionales Kon­strukt die unendliche Geschichte der Widersprüche psychischer Systeme in einer neuen Einheit einzufangen verspricht. Hier setzt die Kategorie der Autopoiesis ein, um den gesetzmäßigen, zwangsläufigen, operational geschlossenen Charakter der Kommunikation zu erzwingen, der analog zur Selbstorganisation von Zellverbänden, also biologischen Vorgängen gedacht wird. Diese Analogiesetzung ist es, auf der Luhmann sein ganzes System aufbaut. Sie führt, wie ich schon in meiner Kritik an Maturana ausführte, zu einem sehr stark reduktionistischen Vorgehen, das hier allerdings dadurch verschärft wird, dass Luhmann Maturanas Ansichten dadurch steigert, dass er sie auf soziale Systeme bezieht, was Maturana nicht intendierte. Da, wo sich bei Maturana bloß ein Zellverband aus inneren Strukturen in einer spezifischen Umwelt stets selbst nach den eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickelt, wird bei Luhmann die Kommunikation in einem sozialen System zu einem operational geschlossenen Netzwerk der Selbstentwicklung. „Sie kann ihre operativen Sym­bole mit sehr viel größeren Freiheiten einsetzen als das Bewusstsein. Sie kann täuschen, sich irren, Symbole missbrauchen, lügen und erreicht damit Freiheiten des Umgangs mit der Außenwelt, von der die Vernunft nur träumen kann. Dann muss die Kommunikation aber lernen, mit den daraus folgenden eigenen Problemen umzugehen. Sie muss lernen, Falschmeldungen zu kontrollieren. Sie erfindet Einrichtungen zur Kontrolle dieser Kontrolle; und erst unter diesem Gesichtspunkt wird Wahrheit zum Thema der Kommunikation.“ (Ebd., 36)
Dies schließt an den Gedankenkreis an, den Luhmann in seinem Buch „Soziale Systeme“ (1984) entfaltet hatte. Dort versuchte er, empirisch zu belegen, dass moderne Gesellschaften sich nur noch auf Komplexitätssteigerung einstellen können, was das Problem aufwirft, inwieweit sie überhaupt noch kritisch zu sich Abstand halten können. Luhmanns Beobachtungstheorie von Kommunikation verspricht eine solche Abstandsschau, ohne allerdings inhaltlich auf den Anspruch einer metaphysischen Wahrheit zurückfallen zu wollen. Aber zugleich soll überhaupt ein normatives Konzept aufgegeben werden, d.h. der Beobachter wird als Teilnehmer (an normativen Vorverständigungen) vorwiegend als Beobachter gesehen. Normativ ist kein Abstand innerhalb der Selbstreferenz von Systemen möglich, denn sie beschäftigen sich mit sich selbst, ohne auf ein übergeordnetes System zurückgreifen zu können. Insoweit trifft Luhmann scheinbar auch nicht die Kritik von Habermas, der Öffentlichkeiten als intersubjektive Verständigungsgemeinschaften anführt, um identitätsbildende kollektive Selbstzuschreibungen zu bezeichnen, die ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein artikulieren können (vgl. Habermas 1991 a, 434 f.). Solche Verständigung zerfällt doch bloß wieder in Unterscheidungen, die als Mitteilung und Information zirkulär in den Kreislauf von Systemen zurückfallen.
Damit hat Luhmann einerseits richtig betont, dass Verständigungsgemeinschaften aus der Sicht einer Beobachtungstheorie kaum je eine universale Entfaltung oder ein gesamtgesellschaftlich haltbares Bewusstsein auszudrücken verstehen. Andererseits aber stellt sich nun auch ihm das Problem, inwieweit denn seine eigene Theorie identitätsbildend wirkt und sich auf eine besondere Art von Verstän­di­gung, auf eigene Normen, festlegt.
Hier entwaffnet Luhmann mögliche Kritiker mit Kategorien wie Selbstreferenz, Autopoiesis und Rekursivität, wie Miller (1987, 189 ff.) treffend feststellt. Denn die Selbstreferenz 5 eines Systems setzt das Prinzip multipler Konstitution voraus (Luhmann 1984, 65). Wann immer ich dann aber dieses Konzept der Selbstreferenz angreifen will, dann bin ich schon in der Falle des Systems gefangen, das der Beobachter Luhmann mir diagnostizieren kann. Er benötigt hier auch keine Selbsttranszendenz mehr, wie es ein Kritiker fordern könnte, denn die Paradoxie des unbegreiflich sich setzenden Unterscheidungsspiels wird von Luhmann durchaus zugestanden. Allerdings mag man schon an diesem Sprachspiel bemerken, dass wir auf den höchsten theoretischen Plätzen der Verallgemeinerung angelangt sind. Kehren wir in konkretere Gefilde zurück, dann lässt sich auch der Beobachter Luhmann in seinen Normsetzungen kritisieren, weil er nur ein Beobachter ist. Als Beobachter will er die Subjektivität möglichst vergessen machen, um das wissenschaftliche Spiel einer Verobjektivierung zu bewahren.
Die Entsubjektivierung folgt auf dieser Grundlage nun der recht trivialen Einsicht, dass Kommunikation immer eine Mehrheit psychischer Systeme voraussetzt, die allerdings von Luhmann als selbstreferentiell-geschlossen in ihren Operationen bezeichnet werden. Das Konstrukt einer autopoietischen Struktur analog zu biologischen Funktionssystemen wird hier bruchlos auf soziale und kommunikative Prozesse übertragen. Eine Begründung hierfür wird aber sogleich eingegrenzt, da die Unterscheidung selbst hinreichend genug dafür zu stehen scheint, was sie begründen soll: „Es gibt keine privilegierten, konkurrenzfrei operierenden (extramundanen oder intramundanen) Positionen, von denen allein aus die Welt richtig beobachtet werden könnte. Alles Beobachten ist seinerseits gesellschaftliche Operation, ist also seinerseits beobachtbar. Es gibt kein ‚Subjekt‘. Außerhalb der Gesellschaft gibt es Bewusstsein, gibt es psychische Systeme – aber davon so viele, dass wir unmöglich deren Beobachtungsweisen in Betracht ziehen können. Wissenschaft ist Kommunikation, und Kommunikation ist gesellschaftsinterne beobachtbare Operation. Ein Wissenschaftskonzept, das diesen Sachverhalt übergeht oder sich selbst ihm entzieht, verzichtet darauf, Realitäten zu konstruieren.“ (Ebd., 543)
Ebenso künstlich wie Luhmann Bewusstsein und Kommunikation trennt, trennt er Wahrnehmung und Kommunikation. Wahrnehmung wird von ihm als ein Bewusstseinsereignis aufgefasst, denn nur so kann er schlussfolgern, dass der Außenkontakt in einem kommunikativen System nicht auf der Ebene seiner eigenen Operationen vermittelt wird (Luhmann 1992 a, 225 ff.). Diese Definition benötigt Luhmann, um Kommunikation als autopoietisches System aufrechtzuerhalten: „Es kann nur kommunizieren, kann nur Kommunikation durch Kommunikation erzeugen. Es kann natürlich über Wahrnehmungen kommunizieren; aber auch das sind dann Kommunikationen, nicht Wahrnehmungen. Ein Kommunikationssystem (soziales System) bleibt also auf Bewusstsein angewiesen – auf Bewusstsein als Transformator von Wahrnehmung in Kommunikation. Damit wird das Bewusstsein nicht zum Subjekt der Kommunikation.“ (Ebd.) So kann das Bewusstsein weder der Kommunikation zugrunde liegen, noch kann es sie durchschauen oder kontrollieren, weil es eben nur über Kom­munikation, die von Luhmann künstlich vom Bewusstsein isoliert wird, einen Zugang zum Bewusstsein anderer Menschen gewinnt. Auch wenn er bemerkt, dass es in der Sexualität wohl einen Zugang zu dem Körper des Anderen gibt (vgl. Luhmann 1989), so ändert dies nichts am grundsätzlichen Kognitivismus seines Ansatzes. Daraus erzwingt sich eine Trennung von Kommunikation und Wahrnehmung, die zwar zurecht auf den Punkt verweisen kann, dass Wahrnehmungen nicht identisch mit Kommunikationen sein müssen, weil z.B. keine Kommuni­kation Schritt für Schritt auf jede Wahrnehmung reagieren kann, die damit aber zugleich die Zirkularität des Prozesses von Wahrnehmen und Kommunizieren übersieht. Damit will Luhmann sich eine Schärfe wissenschaftlicher Eindeutigkeit erhalten: „Man kann sogar sagen: Wissenschaft ist nur möglich, weil Kommunikationsprozesse wahrnehmungsunspezifisch ablaufen müssen (was keineswegs ausschließt, dass die Verweisung auf Wahrnehmungen in der wissenschaftlichen Kommunikation eine besondere Rolle spielt).“ (Luhmann 1992 a, 226 f.) Der Nachsatz verdeutlicht, dass in der Wissenschaft durchaus auf Wahrnehmung Bezug genommen werden soll. Der Wahrnehmungseindruck hat für Luhmann eine größere Schärfe als die begriffliche Kommunikation, die diesem gegenüber zwangsläufig unschärfer bleibt. Dieser Schritt von der sinnlichen Gewissheit hin in die Kommunikation bedeutet eine enorme Simplifikation, was aber überhaupt für Luhmann eine Bedingung von Kommunikation ist.
Betrachten wir dies auf der Ebene eines Beobachters, so scheint dieser zwei Zugänge zur Wirklichkeit zu haben: Einerseits die Kommunikation, die sich in ihrem eigenen Realitätsvollzug gewiss sein kann, d.h. Kommunikation, die sich als Kommunikation real weiß, andererseits den Verweis dieser Kommunikation auf die „laufende Synchronisation des wahrnehmenden Bewusstseins mit seiner Umwelt“ (ebd., 229).
An dieser Stelle sieht man deutlich, dass Luhmann in seiner künstlichen autopoietischen Welt immer weitere Zusatzannahmen machen muss, um die operationale Geschlossenheit der Kommunikation letztlich doch wieder aufzuweichen. Die Aufweichung führt in die Zirkularität von Wahrnehmen und Kommunikation ein, denn hier muss trotz der zuvor geübten Trennung zugestanden werden, dass Wahrnehmungen Kommunikation beeinflussen wie umgekehrt. Die Illusion der Grundtheorie Luhmanns ist dann die überflüssige Behauptung einer Trennung. Wer aber diese Trennung bezweifelt, so schlägt er vor, „sollte sich in die Situation eines Menschen versetzen, der eine noch nie gesehene Farbe gesehen hat und anderen darüber berichten möchte.“ (Ebd., 20) Daraus leitet er ab, dass Wahrnehmung grundsätzlich nicht kommunizierbar ist. Ein solcher Vorschlag aber verkürzt die Wahrnehmungsleistungen, wie wir sie als Beobachter re/de/konstruieren können: Ohne eine intersubjektiv vorgängige Schulung in dem, was überhaupt Farbe in einer Kultur ist, wird kein Individuum in seinen Wahrnehmungen Farbe aussagen können. In jede Farbaussage geht Kommunikation im Sinne eines interaktiven Lernprozesses bereits vorgängig mit ein. Aber auch umgekehrt kann die Farbaussage eines einzelnen Individuums, kann sein Schöpfertum im imaginativen oder realen Umgang mit Farben zu einer Bereicherung dieser kulturellen Wahrnehmung und Kommunikation beitragen. Dieser Beitrag aber entwickelt sich nicht nur, weil er im bestehenden Netz von Kommunikationen sich bloß wiederholt, weil er also nur durch Kommunikation in einer Gesellschaft ermöglicht wird, sondern weil dieses Wechselspiel dabei immer auch ein Wechselspiel zwischen subjektiver und objektiv vermittelter Wahrnehmung und Kommunikation ist. Im Rahmen der zweiten Kränkungsbewegung haben wir deshalb insbesondere bei Mead  gesehen, dass Kommunikation ein relativ offenes System ist, in dem sich Widersprüchlichkeiten von Wahrnehmen, von Inhalt und Beziehung, von Körperlichkeit und Dinglichkeit usw. vollziehen. Wenn wir diese Breite der Kommunikation in Betracht ziehen, dann ist Luhmanns Entsubjektivierung der Kommunikation radikal zu kritisieren. Sie verkennt so­wohl die vorgängige Intersubjektivität, in die Kommunikation jeweils eingewoben und verwickelt ist, und aus deren Subjektivität auch nur die Kreativität der Weiterentwicklung kommunikativen Handelns zu verstehen ist, sie verfehlt andererseits aber auch die Breite der kommunikativen Akte selbst, indem sie sie aus jenen zirkulären Prozessen herauslöst, die für sie besonders wichtig werden. Dies verdeutlicht die Trennung der Kommunikation von der Wahrnehmung anschaulich. Indem Luhmann nämlich die Kommunikation von der Wahrnehmung einerseits löst, um ihr eine höhere Eindeutigkeit im eigenen geschlossenen autopoietischen System zu sichern, verliert er andererseits die eigene Wahrnehmung für die Brüchigkeit des von ihm konstruierten kommunikativen Systems selbst. Dieses verwandelt sich in ein künstliches Konstrukt einer hoch verallgemeinerten Welt, deren praktische Anwendung sich auf reine Theorieproduktion zu beschränken scheint.
Hier erscheint eine sehr problematische Behandlung von Beobachtung und Beobachter. Es gibt, das kann man Luhmann entgegenhalten, Subjekte, die als Beobachter auftreten. Es gibt für diese und ihre Verständigungsgemeinschaften aber auch eine Beobachtung, die über den Subjekten zu stehen scheint, obgleich sie nur über diese vermittelt realisiert wird. Es gibt zudem, und dies macht die menschliche Verständigung schwieriger, unterschiedliche Verständigungsgemeinschaften mit einem unterschiedlichen Verständnis dessen, was Beobachtung ist. Damit sind die unterschiedlichen subjektiven Beobachter auch noch in den scheinbar objektivierten Beobachtungen ihrer Verständigungsgemeinschaften unterschiedlich. Die Moderne in ihren postmodernen Übergängen ist, wie ich in Kapitel I zu zeigen versuchte, ein Zeitalter der Diversität, Multikulturalität, Ambivalenz, so dass auch die Verständigungsgemeinschaften mit ihren Theorien, die gesellschaftliche Verhältnisse zu beschreiben versuchen – wie die Systemtheorie – nicht dem Dilemma entkommen können, sich in dieser Pluralität zu situieren. Was aber sollen wir mit einer Theorie anfangen, die dies von vornherein als Supratheorie verweigert, weil sie für alle eine beschreibende Geltung beansprucht?
Gesellschaftlichkeit ist, das ist eine Gegenthese zu Supratheorien, ein Konstrukt von diversen Beobachtern und nicht ein Ausdruck apriorischer Beobachtung. Gesellschaftlichkeit zerfällt eben in viele Bewusstseine – auch wenn dies der Wissenschaft – aber welcher und mit welchen Interessen? – unerträglich erscheinen mag, wenn wir sie vorrangig als System sehen wollen. Dennoch müssen wir die Unmöglichkeit der unterschiedlichsten Betrachtungsweisen auch in der Wissenschaft immer in Betracht ziehen, wenn wir nicht dogmatisch in den Schlummer letzter Codierungen und entsubjektivierter – letztlich aber für sich zunehmend bedeutungsarmer – Codierungs-Maschinen zurückfallen wollen. Hier ist es ganz gleich, welche Codierungen angestrebt werden, denn sofern der instrumentelle Code menschliche Handlungen als rationale Kalküle verarbeitet, wird ihm immer ein Teil des Menschlichen entgehen. Wenn eine Theorie sich dann noch primär binärer Codes bedient, weil diese Dualismen am einfachsten erscheinen, wird auch die komplexeste Systemtheorie in ihren Basisaussagen banal. Hier erscheinen sofort die Gegner von Luhmann, die eine eher nicht-dualistische Haltung einnehmen, weil die dualistische Erkenntnistheorie in der Regel Kultur immer zu einfach konzipierte.6 Aus solcher Öffnung heraus, aus der Vermeidung zu starker Dualismen, erscheint Wissenschaft allerdings immer auch als unmöglich, denn die Vielheit überfordert, die Unübersichtlichkeit hindert, die potenzielle Möglichkeit des Anderen wird zur Grenze jeder Operativität, und die Konstruktion von Realitäten schreibt sich immer im Plural.
Positiv gesehen hat Luhmann in seinen Arbeiten diese neue Unübersichtlichkeit bekämpft, indem er mit einer Begriffsapparatur, für die eigene Glossare notwendig wurden (vgl. z.B. Baraldi u.a. 1999), ein differenziertes System von Aussagen und Begriffen formte, die als eine Allanwendung auf alle sozialen Phänomene passen und Erklärungen anbieten. Hier können in universitären Diskursen unzählige weitere Arbeiten Anschluss suchen und finden.
Aber zu welchen Ergebnissen führen diese ganzen Anschlüsse? Wenn die bisher erzeugten Resultate betrachtet werden, dann macht sich Ernüchterung breit. Negativ betrachtet haben Kritiker wie Dirk Käsler deshalb angemerkt, dass hinter diesem „komplzierten Räderwerk artistischer Begrifflichkeit“ sich lediglich einige wenige aussagekräftige Begründungssätze finden lassen. Welche Begründungssätze tauchen vermehrt auf? Die Welt ist kompliziert, Beobachtender und Beobachtendes sind zu unterscheiden, alles ist mit allem verbunden, Komplexitätsreduktion ist notwendig, weil Menschen sonst überfordert sind.
Wenn man Luhmann liest, dies die Kritik, dann kommt es einem so vor, als werden alltägliche Selbstverständlichkeiten aus gegenwärtigen soziologischen Diskursen in eine neue Kunstsprache eingefügt, die alles in ein Referenzsystem trägt, das mit sich selbst beschäftigt bleibt. Ternes (1999) hat dies eine „invasive Introspektion“ genannt. Dies ist eine Theorie, die den Gegensatz von Theorie und Gegenstand der Theorie überwindet, die auch dem Gegensatz von Konstruktion einer Theorie und Bezug zu einer Wirklichkeit außerhalb dieser Konstruktion entsagt, weil die Theorie selbst immer erst ihren Gegenstand hervorbringt und als Gegenstand stets schon vereinnahmt hat. Es gibt kein außen mehr.
Hier müssen wir allerdings aufpassen, dass wir zwei Dinge nicht miteinander verwechseln:
(1) Der konstruktivistische Ansatz von Luhmann, der darauf aufmerksam macht, dass die Theorie in ihren Konstrukten immer schon mitbestimmt, was die Gegenstände wie bedeuten und die jede Form von Abbildungstheorie vermeidet, die ist vielen insbesondere pragmatistisch und konstruktivistisch orientierten Theorien zu eigen und ein großer Fortschritt in den Diskursen, weil sie die Fehler, die in der ersten Kränkungsbewegung sichtbar wurden, überwindet.
(2) Der systemtheoretische Ansatz von Luhmann, der nun die Theorieebene so stark abstrahiert und verallgemeinert, dass die Grenzbereiche der Theorie nach außen (Handlungen, äußere Wirklichkeiten, unterschiedliche Beobachter, Teilnehmer und Akteure usw.) verschwinden, der ist hingegen nicht notwendig konstruktivistisch und eine aus meinen Augen übertriebene Allanwendung mit problematischen Folgen. In dieser Allanwendung dominiert ein deskriptiver Ansatz, der lediglich Methoden zur Beschreibung von Welt liefert, der aber zugleich normativ über die Welt nichts aussagen kann und will, was wir nicht bereits wüssten. Dies ist nicht notwendig konstruktivistisch, denn der Konstruktivismus kann im Entwerfen von Konstrukten nach dem Maßstab der Viabilität genauso gut Konstrukte entwerfen, die als Begründung und Geltung für bestimmte Verständigungsgemeinschaften passen, ohne in eine überhöhte Verallgemeinerung eintreten zu müssen, dass wir nur das beobachten, was wir beobachten und nichts darüber hinaus. Diese Verallgemeinerung mag nur dann gelten, wenn wir begrenzte Teilnehmer sind (was oft der Fall ist), aber sie wird dadurch immer wieder in Frage gestellt, dass wir als Akteure so in die Teilnahme und Beobachtungen eingreifen können, dass sowohl unsere Teilnahmen als auch Beobachtungen als änderbar erscheinen und uns einen Rest an letzter Freiheit ermöglichen. Zerstören wir diesen Akteursteil und seine normativen Potenzen, dann etablieren wir eine zutiefst konservative Theorie, auch wenn wir vielleicht meinten, bloß das zu beschreiben, was wir ohnehin tun.
Dies ist meine Hauptkritik an Luhmann, die ich nachfolgend differenzieren möchte. Denn die Tücke der Luhmannschen Methodologie als Interaktionsmodell steckt darin, dass er uns psychische Systeme in ihrer Heterogenität als operative und konstruierende Systeme wegen der Unmöglichkeit von Übersicht verbietet, um gesellschaftsinterne Operation als einzige Möglichkeit wissenschaftlicher Konstruktion anzubieten. Sein Modell erzeugt damit eine stark instrumentelle und technologische Wirkung: Eine vom Bewusstsein, von den Individuen mit psychischen Systemen gereinigte Gesellschaft erscheint als funk­tionales Gebilde, das der Imagination einer allmächtigen Soziologie angedient wird, die uns darin ihre allgemeinsten Unterscheidungen verkündet. Aber nur in den Elfenbeintürmen des akademischen Betriebes wird das Bewusstsein der Beobachter als Subjektivität auch von Akteuren ausgeschlossen sein können, obgleich es schon in der Gestalt der Psyche eines so handelnden Soziologen wie Luhmann seiner Umwelt wieder begegnen wird.
Vor diesem Hintergrund kämpft Luhmann zwar gegen traditionelle Aprioris der Wissenschaft an, indem er gegen unfehlbare Wahrheitskonzepte zutreffend und mit guten Argumenten streitet, um sich jedoch zugleich ein eigenes zu errichten. Wenn er die Selbstreflexion des Beobachters betrachtet, dann sieht er vorrangig die Beobachtung des Systems im System, die als verallgemeinerte Position auf einer unterstellten Autopoiesis aufruht. „Eine Stabilitätsgarantie liegt unter diesen Umständen nicht in einer fixierbaren Identität und erst recht nicht in a priori geltenden Prinzipien, sondern allein in der Autopoiesis des Systems: In der rekursiven Anschlussfähigkeit des Beobachtens von Beobachtungen.“ (Ebd., 544) Damit hat sich Luhmann einen verallgemeinerten Platz von sich wiederholenden, selbstreferenten Strukturen ausgedacht, einen Bauplatz von Unterscheidungen konstruiert, aus dem heraus alle übrige Geistesgeschichte wie eine Ruine erscheint, die neu zugeschnitten werden muss, um zu wunderschöner Architektur einer funktionalen Perspektive zu werden. Denn die starr anzuwendende Idee der Auto­poiesis nötigt ihn dazu, die Welt zu entsubjektivieren, um das gewählte Schema objektivierend entfalten zu können.
Wir betrachten in solchen Begrifflichkeiten nur noch die Unterscheidungen, suchen aber nicht mehr nach einzelnen Subjekten und ihren Motiven, um Bedingungen des Unterscheidens selbst zu thematisieren. Daraus entstehen abstrakte Kunstwerke.
Es ist interessant, dass mit dieser Abstraktion Luhmann sich prägnant vom Massengeschmack der Moderne, die Kunstwerke am Einzelfall personifiziert und dramatisiert erleben will, abhebt. Es erscheint die Chance eines gebildeten Gelehrten, dessen Abstraktionsleistungen sein begrenztes System akademischer Selbstbeschäftigung nach außen absichern. Solche Absicherungsleistungen sind, wie Bourdieu (1992) exemplarisch zu belegen versuchte, durchaus typisch für universitäre Diskurse.

c) Autopoietischer Konstruktivismus ist keine systemische Praxistheorie
Die Klagen darüber, dass man Luhmanns Theorie sehr schwer auf systemische Arbeiten in der Alltagspraxis beziehen kann, sind nur ein anderer Ausdruck der Misere seiner Entsubjektivierung. Systemisch wird in pädagogischer, psychologischer, therapeutischer und beratender Praxis immer mit Menschen, mit Subjekte, in konkreten Handlungen gearbeitet. Für solche Praxis scheint Luhmann zunächst fast unübersetzbar. Den Grund hierfür finden wir in einer grundsätzlichen funktionalistischen Sicht, die sich das System als Ganzes und nicht konkrete Handlungspraktiken vornimmt.
Luhmanns Ansichten entwickelten sich – ähnlich wie bei Schelsky oder Parsons – aus dem Blickwinkel funktionaler Differen­zierung heraus, wobei auch nicht ein Fortschrittskonzept zur praktischen Veränderung von Gesellschaft entwickelt wird, sondern ein eher evolutives Modell die universalistischen Tendenzen der Modernisierung beschreiben soll. Klassische soziologische Analysen nach Schicht- oder Klasseninteressen, nach dem Primat materieller Produktion bzw. Reproduktion werden durch eine historische und logisch-empirische Analyse ersetzt, die Systemreferenzen in den Unterscheidungen der Begriffsapparaturen des Systems selbst vornimmt. So treten Begriffe wie Funktion und Leistung in den Vordergrund, Systemtheorie und Kybernetik erscheinen als Bezugspunkte eines Denkens, das sie selbst wie eine Maschinerie erzeugt. Mit der Theorie Maturanas über autopoietische Systeme gewinnt Luhmann einen Ansatzpunkt, um eine biologistische Sicht auch auf den sozialen Bereich zu übertragen und so eine Art evolutionäre Erkenntnistheorie einzusetzen. Die dabei vorhandene primäre soziologische Analysehaltung unterscheidet diese Sichtweise dann allerdings deutlich von den biologischen Modellen der evolutionären Erkenntnistheorie und zieht radikaler als diese den Schluss auf eine autopoietische Systemerhaltung sogar der Kommunikation. Das autopoietische Modell bei Maturana wurde noch durch einen imaginierten Beobachter rekonstruiert, der durch Selbst- und Fremdbeobachtungen die Zirkularität von organismischen Prozessen im Blick auf die Unterscheidung von System und Umwelt zu beschreiben versuchte. Mit der Übertragung dieses Modells auf soziale Systeme, die notwendig in einem Zirkelschluss endet, beobachtet der Beobachter seine eigene Autopoiesis, die er jedoch zugleich in verschiedene autopoietische Untersysteme abspaltet. Dies wird die Basis für Unterscheidungen, die Luhmann insbesondere durch die Trennung von psychischer und kommunikativer Wirklichkeit einführt.
Der systemische Praktiker muss verstehen, dass Luhmann vor diesem Hintergrund seine Perspektive auf den Verzicht traditioneller Semantiken und die Entwicklung neuer Beschreibungsformen in der Wissenschaft deshalb nur in sehr abstrakter Form entwickeln kann. Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft erzwingt zunächst einen radikalen Relativismus. Dieser bedingt einen Verzicht auf Autorität und nicht nur auf Herrschaft (vgl. Luhmann 1992 a , 11). Die Freigabe von Autorität gibt das Unterscheiden frei. Die Freiheit scheint dann grenzenlos zu sein. Jedes System, das allerdings immer von einem Beobachter unterschieden werden muss, unterscheidet sich selbst. Hier allerdings liegt auch der logische Haken, den das autopoietische Konzept beinhaltet. Die Unterscheidungen eines autopoietischen Systems sind eben Unterscheidungen eines Beobachters. Sie dienen aber zugleich dazu, diesen Beobachter in seinen Unterscheidungen zu bezeichnen. Luhmanns Ansatz sollte daher als ein autopoietischer Konstruktivismus charakterisiert werden, denn gegenüber der Konstruktion von Wirklichkeit kommt bei ihm noch die Zusatzannahme hinzu, dass diese Konstruktion autopoietisch konstruiert sei. Es spricht aber in der Begründung dieses Ansatzes wohlgemerkt der Konstrukteur oder Beobachter Luhmann. Und dieser engt die möglichen Blicke funktionalistisch ein, weil er hier den größten Erkenntnisgewinn vermutet. Aus der universalistisch unterscheidenden Autopoiese des sozialen Systems kriechen dabei allerdings durchaus wertende Setzungen des subjektiven Beobachters hervor.
Welches Problem entsteht durch die funktionalistische Sicht? Wirft man einen Blick auf beobachtende Theorien über die Entwicklung der Gesellschaft, die als Beschreibung ihrer Industrialisierung, der Zunahme von Ware-Geld-Beziehungen und der Entwicklung und Verknüpfung von Verkehrsformen, von Rechtssyste­men, von Wissenschaft usw. sich darstellen, die die Entwicklung von Intimbeziehungen und ihre Ausdifferenzierungen, die Verzweigungen von Kultur und sogenannter Multikulturalität bedenken, dann scheint in diesem ganzen Unternehmen der Moderne sich in der Tat eine funktionale Differenzierung herzustellen und auf ständig neuer Ebene weiterzuentwickeln. Die Versuchung liegt zumindest nahe, diesen ganzen Komplex aus der Perspektive einer Einheit zu beobachten, die wie die Beobachtung eines Zellverbandes, eines lebenden Organismus sich in einer eigenen Strukturgesetzlichkeit entwickelt, die man als ein geschlossen operatives System, d.h. als Autopoiesis begreifen könnte. Luhmann unterliegt dieser Versuchung, wenn er eine Beobachtertheorie aufstellt, die ihren unterscheidenden Fokus ganz auf diese Idee einer Einheit richtet, auch wenn er diese Einheit dann als Unterscheidung in Beobachtungen differenziert. Gleichwohl ist hier das leitende Eins eines Formenkalküls ein entscheidendes Motiv, das die möglichen Auchs abgrenzt, und aus dieser theoretischen Ausschlussbedingung funktionalisiert sich sein eigenes Modell in Abgrenzung zu anderen, denen er Unterlegenheit und Unfähigkeit konstatiert. So wirft er beispielsweise der Frankfurter Schule vor, dass ihre Unterscheidung von affirmativ und kritisch den Anschluss an das, was Beobachtung überhaupt liefert, verfehlt (vgl. Luhmann 1993 a, 233). Wie auch sollte diese Unterscheidung bei einem abstrakten Einheitsdenken taugen, das gesellschaftliche Systeme, das psychische und kommunikative Systeme voneinander trennt und als autopoietisch begreift? Eine solche Unterscheidung macht nur Sinn, wenn man aus dem Prozess dieser Einheit aussteigen will und in ihm Überredungskünste von Herrschaft vermutet. Solche kritische Skepsis lässt den Beobachter zu Metapositionen des Beobachtens aufsteigen, die sich als gesellschaftliche Kritik oder Rekonstruktion unaufgeklärter Zustände entwickelt.
Damit ist eine Stärke und eine Schwäche der Luhmannschen Position gezeichnet: Ihre Stärke wird sicherlich darin liegen, die Selbsterzeugungsmechanismen von sozialen Systemen aus der verengenden Perspektive einer Suche nach Unterscheidungsregeln und Anschlussfähigkeitsbedingungen in dem System selbst durchzuspielen. Diese Spielwiese wird manch einem Akademiker genehm sein, weil und insofern sie zum System Universität passt. Für diese Stärke sollte man jedoch nicht erwarten, dass Luhmann sein Versprechen an eine empirische Beobachterposition im Sinne größerer sinnlicher Nähe oder härterer Wahrnehmung, also auch einer systemischen Praxis und gegenüber den Bedürfnissen der dort arbeitenden Praktiker, einlösen könnte, denn seine Arbeiten und die Arbeiten aus seiner Schule verbleiben höchst abstrakt und orientieren sich an Texten und Zusammenhängen, in denen das psychische System des einzelnen und konkrete Fragen der Lebenswelt kaum eine Rolle spielen. Damit aber ist auch schon eine Schwäche hervorgehoben, die Luhmann pikanterweise in eine Stärke umdeutet: Wie sollen wir auch angesichts von über fünf Milliarden Menschen auf dem Planeten uns mit der Psyche eines jeden einzelnen Menschen befassen können, wie sollte sich hieraus eine wissenschaftliche Perspektive überhaupt ergeben? Wissenschaft kann sich anscheinend allenfalls auf die abstrakten kommunikativen Beziehungen solcher Subjekte beziehen und muss damit die Welt entsubjektivieren. Eine solche Kommunikation könnte dann als eine neue Einheit aufgefasst werden, in der ein Beobachter die Unterscheidungen verfolgt und sich selbst konstruiert, die von anderen Beobachtern als das Unterschiedene schlechthin wahrgenommen werden könnten.
Erkenntnistheoretisch steckt Luhmann damit allerdings in einem Dilemma. Wie will er angesichts der Milliarden von Menschen die Beobachter begrenzen? Wie will er sie dazu veranlassen, dass sie ausgerechnet ihm, dem Beobachter Luhmann, folgen, der ihnen plausibel zu machen versucht, dass die vereinheitlichende Sicht auf die funktionale Differenzierung von angeblich geschlossen operierenden Systemen nun die gültige sein kann? Luhmann bemüht hierzu logische Argumente, obwohl er durch die Einführung des Beobachters zugleich auch psychologische benötigt. Um jedoch die Psyche, damit auch die Psychologie zu unterschlagen, die sein Konzept der Autopoiesis aus dem gegensätzlichen Blickwinkel der Intersubjektivität, der Verbundenheit, des Spannungsbezugs von Beobachtungen in möglichen Perspektivwechseln zwischen dem Eins eines Ichs und dem Zerfallen dieses Ichs in viele Auchs, zwischen der Selbstbehauptung eines Selbst und dem Zerfallen dieser Selbstbehauptung in Andersheit, zwischen der bewussten Kognition eines Subjekts und der Auflösung dieser Bewusstheit in Unbewusstheit stattfinden, um all dies zu übergehen, muss eine neue Einheit herhalten. Ich will zwar nicht von vornherein bestreiten, dass eine solche Setzung nicht durchaus fruchtbare Differenzierungen innerhalb von Beobachtungsmöglichkeiten erbringen kann.7Die Schwäche des Konzepts aber tritt deutlich hervor, wenn er an anderen Theorien, z.B. an Marx oder Freud, kritisiert, dass diese jeweils (von der höheren Warte einer Beobachtung aus) den Verblendungszusammenhang von anderen zu entlarven trachteten, ohne sich selbst als Beobachtertheorie genügend bestimmen zu können. Von einem Metastandpunkt der Beobachtung aus mag daran richtig erscheinen, dass spezifizierende Theorien immer nur eine Sicht konstituieren können, die eine Unterscheidung erbringt und die keine allgemeingültige Einheit stiften kann. Aber wie sollen wir dann Luhmanns eigenen Versuch auffassen? Wie kann dieser, und Luhmann vertritt ihn mit entschiedener Bestimmtheit gegen andere, nun die letzte gültige Beschreibung einer Theorie von Beobachtung sein, nur weil er Beobachtung überhaupt in einem autopoietischen Konzept als eine Art Metatheorie umfassend zu thematisieren versucht?
Damit berühre ich eine Problemstelle eines jeden konstruktivistischen Ansatzes. Eine Beobachtertheorie kann auch nicht als eine Metatheorie des Beobachtens, d.h. als eine Theorie, die Äußerungen über Beobachter des Beobachters des Beobachters usw. macht, einen letzten Beitrag oder einen abgeschlossenen Bericht darstellen. Insoweit ist Luhmanns Beobachtungstheorie eine von vielen möglichen. Warum aber sollten wir ausgerechnet dieser Konstruktion folgen, wenn wir sie in systemische Praxis kaum übersetzen können?

d) Die Priorität des Unterscheidens vor dem Beobachter
Der soziologischen Tradition, der Luhmann folgt, erscheint die moderne Gesellschaft als funktional differenziertes System. Die ausdifferenzierten Systeme gelten dabei als autonom gewordene Funktionssysteme, die sich von ihrer Umwelt unterscheiden, wobei operativ eine solche Unterscheidung durch das bloße Fortsetzen der eigenen Operationen erzeugt wird. Hier wendet Luhmann das Konzept der Autopoiesis auf soziale Systeme an, die er als sich selbst reproduzierend denkt. „Aber diese Operationen können im System nur kontrolliert, zugerechnet, beobachtet werden, wenn das System – und jedes in anderer Weise – über die Unterscheidung von Selbstreferenz und Fremdreferenz verfügt.“ (Luhmann 1992 b, 26) Damit das System, das sich dermaßen unterscheidet, sich nicht mit seiner Umwelt verwechselt, damit es die eigene Landkarte nicht mit dem Territorium, in dem es sich befindet, vertauscht, benötigt es die Unterscheidungen – hier Selbst- und Fremdreferenz –, um sich überhaupt erkenntnismäßig situieren zu können. Damit aber unterstellt ein Beobachter, der mit der Unterscheidung von Selbst und Fremd operiert, eine Unterscheidung, die er als Unterscheidung – in ihrer begrifflichen und erkenntnismäßigen Einheit als Konstrukt seiner Überlegungen – zwar operativ benutzen, aber als Einheit nicht beobachten kann. Der Beobachter kann mittels der Unterscheidung „selbst“ und „fremd“ sich nur noch in den unterschiedenen Bereichen – eben nach „selbst“ und „fremd“ – beobachten, obgleich Luhmann zugestehen muss, dass ein imaginärer Raum von Kombinationsmöglichkeiten in diesem Spiel von „selbst“ und „fremd“ als gedachte oder denkbare Einheit vorausgesetzt bleiben muss. Damit stehen wir vor einem Paradox: Ein Beobachter unterscheidet für sich „selbst“ und „fremd“, um seine Referenz von Welt und ihrer Beobachtung zu erzielen, obwohl er diese Unterscheidung als Voraussetzung seiner Beobachtungen selbst nicht beobachten kann, weil erst die Unterscheidung das zu erzeugen scheint, was überhaupt beobachtbar ist. Erst eine Beobachtung zweiter Ordnung, sozusagen ein Beobachten solcher  Konstruktionen, wie es aus der zweiten Kybernetik bekannt ist, lässt diese Paradoxie thematisieren. Man könnte auch von einem blinden Fleck sprechen, der dadurch erzeugt wird, dass es unmöglich ist, beide Seiten einer Unterscheidung als Einheit in ihrem Gebrauch mitzubestimmen. Aber dies schadet den Unterscheidungen selbst nicht, denn sie funktionieren in ihrer Referenz nach dem, was die Beobachter sich unterscheiden, und aus diesen Unterscheidungsreferenzen von „selbst“ und „fremd“ lassen sich dann Codierungen – nach positivem und negativem Wert – unendlich variantenreich ableiten.8
Auf dieser trivialen Grundlage ist freilich noch nicht viel gewonnen. Wir konstatieren bisher ja nur, dass ein Beobachter mit Unterscheidungen arbeiten muss, wenn er Unterschiede macht, d.h. wenn er überhaupt sich in einem Umfeld beobachten will. Zudem ist ersichtlich, dass es hier keine Begrenzung oder äußere Einheit des Begrenzbaren gibt, keinen äußeren Exekutor, der diese Unterscheidungen selbst produzieren und damit die menschliche Konstruktivität und das Wagnis von Erkenntnis entlasten würde. An die Stelle eines illusionären Einen, nach dem die Menschheit lange gesucht hat, scheint nunmehr bloß ein Vieles, damit sogar Gegensätzliches, Widersprüchliches, Heterogenes zu treten. Gleichwohl bleibt dann der Widerspruch, dass Menschen als Beobachter immer wieder eine Einheit von Weltwirklichkeit unterstellen, die konstruktiv auf ihre Handlungen zurückwirkt. Solche Einheit des imaginären Denkens will Luhmann dadurch auflösen, dass er Operation und Beobachtung unterscheidet. Bei George Spencer Brown findet er hierzu eine Begriffskonstruktion, die seine Unterscheidung leitet. Brown (1979) hat ein Formenkalkül entwickelt, dass „distinction“ und „indication“ miteinander ins Verhältnis setzt. Wann immer eine Unterscheidung, eine „distinction“, gemacht wird, entsteht eine Angabe von beobachtbaren Effekten, eine „indication“. Umgekehrt kann keine „indication“ ohne „distinction“ erreicht werden.
Auch dieses Begriffsspiel bleibt trivial, denn es situiert zunächst nur eine allgemeinste Aussage für einen universellen, allgemeinen Beobachter. Für diesen kann man folgern, dass jede seiner Operationen Beobachtungen erzwingt, wie umgekehrt jede seiner Beobachtungen nur von Operationen aus differenziert wird. Was heißt dies konkreter aber nun für Beobachter in einem gesellschaftlichen Kontext? „Die Operation der gesellschaftlichen Kommunikation produziert die Einheit des Gesellschaftssystems, indem sie rekursiv auf andere gesellschaftliche Kommunikationen zurückgreift bzw. vorgreift und dadurch eine Differenz von System und Umwelt erzeugt.“ (Luhmann 1992 b, 43 f.) Solche Operation setzt sich im Vollzug der Beobachtung aus, die ihrerseits Operation ist usw. Und genau hier nun erscheint die Relativität, die jede Form absoluter Wahrheitssuche destruiert: „Das Beobachten muss und kann Unterscheidungen wählen und es kann in Bezug auf die Unterscheidungen, die es wählt, oder auch in Bezug auf die, die zu wählen es vermeidet, beobachtet werden. Das ist die Quelle des Relativismus. Alle Beobachtung bleibt unterscheidungsabhängig, wobei die Unterscheidung im Gebrauch nicht beobachtet werden kann.“ (Ebd., 44)
Luhmann betont hier, dass es keine beobachterunabhängig vorgeordnete Realität gibt und dass es auch keine ausgezeichneten Beobachter gibt, die ein für alle Mal die Probleme aller Beobachtung im Sinne konstanter Gesetze oder eines absoluten Wissens uns auflösen. Dies entspricht den Resultaten der ersten Kränkungsbewegung. In der Wissenschaft beobachten wir vielmehr Beobachter im Blick darauf, welche Unterscheidungen sie mit welchen Effekten treffen, d.h. wir beschränken die mögliche Komplexität von Realität auf jene Reduktionen, die durch Unterscheidungen spezifischer Art markiert sind, obwohl wir zugleich ein Bewusstsein dafür haben, dass es immer auch noch weitere bzw. andere Unterscheidungsmöglichkeiten gibt.
Der Beobachter wird von Luhmann so eingeführt, dass er in seiner Selbstbeobachtung, weil die Operationen des psychischen Systems (Bewusstsein) und des sozialen Systems (Kommunikation) blind verlaufen, vorher/nachher Unterscheidungen anwenden muss, um sich überhaupt beobachten zu können. Ironisch bemerkt Luhmann hierzu, dass eine außerhalb der Zeitreihe stehende Interpretation als eine Art Intuition Engeln vorbehalten sei (Luhmann 1992 a, 60). Diese Stelle ist mit ihrer Ironie nicht zufällig, denn alles Intuitive, Kreative und Spontane muss dem strikt unterscheidenden Ansatz Luhmanns zuwiderlaufen. Es ist subjektiv und damit störend. Die Entsubjektivierung, die dem zugrunde liegt, habe ich weiter oben bereits kritisiert.
Ein Problem erzeugt die Entsubjektivierung im Blick auf Verständigungsgemeinschaften. Was bedeutet die Entsubjektivierung, wenn Verständigungsgemeinschaften von Beobachtern auch auf deren Inter-Subjektivität gründen?
Beobachtung ist für Luhmann eine empirische Operation, die selbst wiederum beobachtbar ist. Wir können eine ganze Reihe von Beobachtern, die Beobachter beobachten, konstruieren, und es gibt in dieser unendlichen Kette von Möglichkeiten keinen Anfang und kein Ende. Doch sichert diese gedachte Hinter- und Nebeneinander-Reihung von Beobachtern schon genügend Intersubjektivität? Einerseits kann Luhmann Intersubjektivität nicht leugnen, denn die Beobachter unterscheiden sich in Verständigungsgemeinschaften, die als beobachtende Instanzen auftreten. Andererseits aber entwickelt er die Komplexität von Intersubjektivität jedoch nicht genauer, sondern entwirft Kommunikation als reduk­tionistisches Modell gegenüber subjektiven Beziehungen. Er nimmt sich so Chancen, in subtiler Weise auf Probleme des Beobachters und seine Subjektivität in Interaktion mit anderen einzugehen. Dieser Beobachter verschwindet vielmehr hinter einer allgemeinen Fassade, hinter einer funktionalen Maske, die seinen Angeboten einen Rest an wissenschaftlicher Klarheit und Dignität zu verleihen verspricht. Dieses Versprechen ist ein guter Grund, den Luhmann uns anbietet, damit wir seinen Ansatz akzeptieren. Als Beweis führt er seine vorgängige Unterscheidung von psychischen Systemen und sozialen Systemen an, indem er suggeriert, dass man ja die Wahl hätte, auch psychische Systeme und nicht soziale Systeme, wie er es unterstellt, zum Ausgangspunkt zu nehmen. Dann allerdings müsste man bei den Milliarden Menschen auf diesem Planeten entscheiden, welches dieser Systeme man als Systemreferenz auswählt. Im Zweifelsfall wird man sich für sich selber entscheiden (vgl. ebd., 63). Wählt man hingegen seinen Ansatz, so scheint alles viel neutraler und funktionaler: Hier wird das umfassendste Kommunikationssystem, das wir kennen, nämlich das Gesellschaftssystem, zugrunde gelegt und Wissenschaft als ein Teilsystem des Gesellschaftssystems mit historisch strukturellen Beschränkungen aufgefasst. An die Stelle der Unklarheit und Unendlichkeit von Milliarden Menschen rückt so scheinbar die Klarheit eines funktionellen Zusammenhangs.
Doch die von Luhmann gegebene Begründung ist sehr stark rhetorischer Natur. Er baut eine Unterscheidung auf, von der aus dann seine Fragestellung als sinnvoll erscheinen mag, die aber nur als Prämisse dieses Bewusstseins und seiner Konstruktionen eine hinreichende Deutung dessen erlaubt, was er uns vorzuschreiben gedenkt. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange wir auch anders verfahren können. Aber wie weitreichend sind seine Fragestellungen und Antworten?
Wissenschaftshistorisch bleibt für mich ein dekonstruktivistischer Zweifel an allen Konstruktionen des Bewusstseins, an der Intersubjektivität und der Komplexität sozialer Systeme, die Luhmann nur dadurch geschickt zu negieren versteht, dass er das Problem auf eine gänzlich andere Ebene verlagert. Hier greift die Unterscheidung von Beobachten und Unterscheiden. Aufbauend auf Spencer Brown (1979) sucht Luhmann einen Relativismus, der nicht in Pluralismus und in Unwägbarkeiten endet. Sein Ausgangspunkt liegt bei einem „extrem formalen Begriff des Beobachtens, definiert als Operation des Unterscheidens und Bezeichnens“ (Luhmann 1992 a, 73).
Wie aber kann es dabei gelingen, einen Beobachter auf verbindliche Regeln festzulegen? Unterscheidungen werden in Beobachtungen vorgenommen, wobei dadurch, dass in einer Beobachtung überhaupt etwas unterschieden wird, bereits eine Unterscheidung vorausgesetzt ist. Luhmann folgert, dass die Beobachtung selbst als die erste Unterscheidung zu gelten hat, die aber nur durch Beobachtung eines anderen Beobachters oder desselben Beobachters zu einem späteren Zeitpunkt unterschieden werden kann. „Mit Hilfe einer zeitlichen und sozialen Vernetzung (und nur so) lösen sich sowohl die Probleme des Anfangs als auch die Probleme der Paradoxie der Form, die sich selbst bezeichnen und nicht bezeichnen kann. Die Form tritt in ihren eigenen Bereich wieder ein (Spencer Brown: re-entry). Was ausgeschlossen sein muss, ist nur die sich selbst voll zugängliche Einheit – das, was für eine besondere Form der Beobachtung dann Gott heißen würde.“ (Ebd., 74)
Damit wird eine Paradoxie zum Ausgangspunkt einer Beobachtungssituation. Ihr Beobachtungsort sind Systeme. Luhmann beschreibt solche Systeme als paradox. Wie kommt es zu dieser Paradoxie? Zunächst wirken in einem System Operationen, die von der Umwelt abgekoppelt sind. Die operationale Geschlossenheit des Systems erzwingt Selbstreferenz und Rekursivität, d.h. die Operationen im System sind nur im Kontext an das Netzwerk von Operationen desselben Systems möglich, auf das sie vor- und zurückgreifen, keine der Operationen des Systems kommt ohne diese rekursive Vernetzung aus. Die Operationen reproduzieren die Einheiten des Systems und damit auch die Grenzen des Systems. Ohne die Operationen läuft nichts im System, d.h. auch keine Erkenntnis über das System. So gesehen ist das System aus der Sicht eines Beobachters ein Paradox, weil es als System eine Einheit darstellt, die nur als eine Vielheit Einheit sein kann. Die Paradoxie erscheint in der Selbstbeobachtung eines Systems, denn, wenn es erkennen will, was es möglich macht, so muss es die eigenen Unterscheidungen erkennen, die das möglich machen, was es ist. Insoweit behauptet Luhmann, dass alle Erkenntnis mit der Auflösung einer Paradoxie zu beginnen hat.
Nun ist allerdings die Künstlichkeit dieser Konstruktion zu beachten. Die Paradoxie erfolgt hier aus der Bedingung, dass überhaupt ein autopoietisches System im Bereich der Erkenntnis von einem Beobachter gesehen, d.h. konstruiert wird. Erst auf dieser Grundannahme ergibt sich die Paradoxie, die Luhmann zur Auflösung freigibt. Wir haben es daher mit einem Sprachspiel zu tun, das in besonderer Weise auf die Bedingungen von Geschlossenheit abgestellt ist, also für Systeme, die sich selbst als geschlossen beobachten, gelten. Innerhalb dieser gibt es dann in der Tat diese Paradoxie. Aus einer anderen Sicht könnte man allerdings Erkenntnis auch als einen relativ offenen Vorgang beschreiben. In der ersten Kränkungsbewegung habe ich weiter oben nachzuzeichnen versucht, dass im Spannungsverhältnis von Eins und Auch, das in der Entgegensetzung von absoluten und relativen Bestimmungen sich abspielt, sich auch das widersprüchliche Paar von Geschlossenheit und Offenheit situieren lässt. Die Geschlossenheit ist letztlich nichts anderes als die Suche eines Beobachters und seiner Verständigungsgemeinschaft nach einem Eins oder einer absoluten Sphäre der Bestimmung oder einem gezielten Beobachtungsort (Systemtheorie), um sich die möglichen Auchs in ihr verfügbar zu machen. Diese Verfügbarkeit heißt bei Luhmann dann Anschlussfähigkeit im System. Die Konstruktion seiner autopoietischen Theorie ist mithin ein vereinheitlichender Mechanismus, der alle Problemlagen sozialer Konstruktion in die Einheit einer Grundannahme von Autopoiesis zwängt. Diese Einheit ist das mimetische Spiel, das erst Kinesis ermöglicht.9
Das Beispiel von Problem und Problemlösung kann uns dies verdeutlichen helfen (vgl. ebd., 419 ff.). Was ist ein Problem? So kann man sich fragen, was man weiß, wenn man etwas nicht weiß. Dieses Problem ist paradox. Wie aber sollte ich seine Lösung bewerkstelligen? In historisch-sozialer Perspektive werden solche Probleme meist dadurch bewusst, dass Irritationen in der Lebensform vorliegen. So hat man nicht genug zu essen, es gibt Krisen in der sozialen Gemeinschaft usw., so dass erst die Lösung zur Definition des Problems wird, was die Paradoxie des Nichtwissens des Problems hin auf die Lösung verschiebt. Besonders der Pragmatismus hat uns dafür sensibel gemacht, dass problematische Situationen der Ausgangspunkt für Lösungen, damit auch für Erkenntnissuche sind. Nehmen wir nun die Beobachtung als Ausgangspunkt beim Erkennen eines Problems oder einer Problemlösung. In einer Beobachtung erster Ordnung kann ich beobachten, was denn eigentlich das Problem oder die Problemlösung sei. Ein Beobachter dieser meiner Beobachtung kann als Beobachter zweiter Ordnung beobachten, wie ich mit dem Problem oder der Problemlösung umgehe. Wenn der Beobachter zweiter Ordnung für sich unterscheiden will, wie der Beobachter erster Ordnung mit seiner Paradoxie, seinem Problem, umgeht, dann beobachtet er, wie der Beobachter erster Ordnung die Paradoxie auflöst. Paradoxie und Entparadoxierung erscheinen daher für Luhmann als wesentliche Vorgänge innerhalb der Beobachtungsleistung. „Die Transformation von Wie-Fragen (die aber überhaupt nur auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung gestellt werden können) in Was-Fragen ist der wichtigste Mechanismus der Entparadoxierung des Beobachtens. Zugleich ist dies ein Vorgang, der die Paradoxie invisibilisiert – oder so jedenfalls wird es dem Beobachter zweiter Ordnung erscheinen. Der Was-Beobachter, der Beobachter erster Ordnung, hat dieses Problem gar nicht, sondern sieht von vornherein nur, was er sieht (und nicht: wie er sieht).“ (Ebd., 98)
Diese Darstellung ist allerdings sehr künstlich, denn der Beobachter erster Ordnung wird sich oft im Forschungsprozess selbst in einen Beobachter zweiter Ordnung verwandeln müssen, wenn er begründet vorgehen will.10 Interessant aber ist, dass die Voraussetzung menschlichen Erkennens selbst als paradoxe Situation umschrieben wird.
Eine Paradoxie entsteht in der Regel dann, wenn innerhalb eines gewählten, eines konstruierten Zusammenhangs ein interner Widerspruch in den systemimmanen­ten Aussagen auftritt, der dann zum Ausdruck von Zweifel, Widerspruch, Gegensätzlichkeit usw. werden kann. Ist aber die grundsätzliche Ausgangsposition eines jeden Beobachters paradox? Sie ist zumindest, wie ich ausführe, durch mehrere Kränkungen betroffen. Solche Kränkungen lassen sich unzählig erweitern. Sie entstehen im Rahmen der Intersubjektivität und des interaktiven Bewusstseins, das ich im Gegensatz zu Luhmann als Zentrum jeder konstruktivistischen Beobachtertheorie sehe, immer in der unvermeidlichen Spannung und in einem komplexen lebendigen Kräfteverhältnis als Ausdruck von Lebensformen.11 Wird der Beobachter in diesen Lebensformen (und den in ihnen bereits reflektierten Kränkungsformen) gesehen, dann zeigt sich seine Beobachtung in einem Zirkel mit Unterscheidungen, die aus den jeweiligen sozialen, kulturellen und indivi­duellen Kontexten heraus entstehen und variieren. Rekonstruktionen sind neben Neukonstruktionen und Dekonstruktionen die großen Themen dieses Spannungsverhältnisses, dessen Unschärfe zwangsläufig durch die Zirkularität von Unterscheidung und Beobachtung gebunden ist. Die Psyche lässt solche Unterscheidungen nicht nur nach Codierungen wie richtig oder falsch, ja oder nein usw. zu. In der Psyche mögen Unterscheidungen ambivalent, in sich widersprüchlich, paradox sein oder erscheinen, je nachdem, wie der Beobachter zu den Ausgangslagen situiert ist. In der ersten Kränkungsbewegung habe ich daher hervorgehoben, dass die Suche nach absoluter Wahrheit sich der Relativierung stellen muss, weil es keine Meisteraussagen, unfehlbare Zeichen oder letztgültige Symbole gibt, um Realität immer gleich zu bezeichnen, abzubilden oder zu konstruieren. Dennoch benötigen Subjekte eben Zeichen, die sie als Ausdruck und Voraussetzung ihrer Verständigung konventionell absolut setzen müssen, um sich überhaupt relativ aussagen zu können. Wenn man dies als grundsätzliche Paradoxie bezeichnen will, dann könnte man sagen, dass der zeichenhafte und sprachliche Ausgangspunkt menschlicher Argumentation und Diskurse immer einen paradoxen Ursprung hat. Aber diese scheinbare Paradoxie verschwindet sogleich, weil und indem wir überhaupt denken und argumentieren. Dies ließe sich als Entparadoxierung bezeichnen, die zugleich ihre eigenen Voraussetzungen invisibilisiert. Es gehört daher zu unserer Realitätserfahrung, dass wir uns in der Verständigung mit anderen als psychische Wesen spiegeln, imaginieren, symboli­sieren, ohne ständig ins Paradoxe zurückfallen zu müssen. Wir haben als symbolische Verwendung des Paradoxen unsere Imaginationen und Symbolvorräte vielmehr so konstruiert, dass dieses erst dort erscheint, wo uns in unserem bereits geordneten System von Bewusstsein und Realitätserfahrung innere Widersprüche deutlich werden. Damit aber können wir nun umgekehrt erkennen, dass die Konstruktion von Paradoxien ein Sprachspiel auf unterschiedlichsten Verwendungsstufen ist. Luhmann hat dieses Sprachspiel aufgenommen, weil er – ähnlich den Argumenten in der ersten Kränkungsbewegung – erkennt, dass mit der Relativierung und Pluralisierung von Erkennen der absolute Ausgangspunkt einer Unterscheidung nicht verschwindet (vgl. z.B. Luhmann 1992 b, insbes. 53 ff.). Was meine Auffassung jedoch von Luhmann trennt, wird insbesondere durch Einsichten aus der von mir beschriebenen zweiten und noch zu beschreibenden dritten Kränkungsbewegung ausgedrückt. Gerade in kommunikativen Prozessen wird menschliche Unbestimmtheit und Unschärfe zur Bestimmung solcher Prozesse durch Subjekte, durch Beobachter mit unterschiedlicher Psyche bei gleichzeitigen Bereichen einer Teilnahme an unterschiedlichen Verständigungsgemeinschaften produziert. Ein Selbst streitet gegen ein Anderes, ein Bewusstes gegen ein Unbewusstes, eine Kommunikation zerfällt in ihre Gegensätzlichkeiten und Spannungen, die ständig neue und veränderte An-Triebe zur Entwicklung und Veränderung solcher Kommunikation und ihrer Beobachtung Veranlassung geben. Demgegenüber geht Luhmann strikt reduktionistisch und vereinseitigend vor: „Wenn man einmal eine Unterscheidung macht – und ohne sie zu machen, kann man nichts anfangen – und danach weiter macht, gibt es eine für alle einsichtige Ordnung des Komplexitätsgewinns, die nur noch die Option zustimmen oder nicht mitmachen offen lässt“ (Luhmann 1992 a, 712).
Damit wird Kommunikation nur noch als kognitives, ambivalenzfreies Unternehmen möglich. Unterscheidungen werden zum Exekutor von Subjekten, deren widersprüchliche Psyche gefangen gesetzt wird. Wenn dermaßen die Ambivalenz abgetötet ist, dann ist Konsens nur durch Reduktion zu gewinnen, dann kommt die Wissenschaft und Technologie darin überein, dass sie in Simplifikationen vollzogen wird und durch Simplifikationen sinnvoll vollziehbar bleibt (vgl. ebd., 712 f.). Dann triumphiert aber auch auf einmal eine zweiwertige Logik, eine binäre Codierung, aus der heraus Luhmann alle seine Unterscheidungsspiele in der Kommunikation vollzieht und damit die lebendige Vielfalt und Widersprüchlichkeit von Kommunikation verfehlt. Seine Verfehlung liegt nicht in dem vielgestal­tigen Sinngehalt seiner Spiele, die im Einzelfall interessant sein mögen, sondern in der grundsätzlichen Negation der zweiten und dritten Kränkungsbewegung, oder anders gesprochen in der Vereinfachung des Modells menschlicher Kommunikation auf ein kognitives Konstrukt, das wie eine Maschine funktioniert.

e) Der Ausschluss der Intersubjektivität
Was bedeutet dies nun für die Intersubjektivität, für die Interaktionen von Alter und Ego, die Luhmann zugesteht? Zunächst scheint die Unterscheidung gegenüber der Beobachtung vorgängig zu sein, denn erst aus Unterscheidungen gewinnen Beobachtungen ihren Sinn. Dann aber scheint auch die Beobachtung den Beobachter zu dominieren. Und schon steckt er mit seiner Beobachtungstheorie im Teufelskreis einer sich selbst produzierenden Struktur, die die Subjektivität des Beobachters als Störgröße eliminieren muss, denn dieses Subjekt „Beobachter“ ist eine heterogene Gestalt, ein wahrer Mephisto, der immer das Gegenteil von dem denkt und tut, was wissenschaftlicher Beobachtung als Regelwerk von Unterscheidungen genehm sein muss. Der Beobachter als Subjekt sieht mit einem Blick mehr, er überblickt oder übersieht anders als jener funktionale Unterscheider einer Beobachtung, die sich selbst als Beobachtung der Beobachtung schon in sich in ihren Unterscheidungen reflektiert und diese zum Wiedereintritt in die Beobachtung selbst zwingt. Solcher Wiedereintritt, den Luhmann mit Brown anmahnt, ist ja bloß die Verklärung der eigenen heterogenen Situation, die vom Subjektiven dadurch gereinigt wird, dass sie als Formalisierung uns schon vorgängig zu bestimmen scheint. Eine solche Betrachtung ist zwar jederzeit möglich, aber oft nichtssagend. Denn die Subjekte unterscheiden sich in den Lebensformen ja eben nach der Ordnung ihrer Blicke,12 die in Unterscheidungen gründen und in solche münden. Sie sind eben deshalb als Subjekte in ihren spezifischen Verständigungsgemeinschaften interessant, interessanter als in der Verallgemeinerung darüber, was sie formal außerhalb solcher Subjektivität (mit Gefühls-, Interessen- und Machtlagen usw.) sein mögen. Eine solche Verallgemeinerung zieht sich auf den Standpunkt reiner Beobachtung zurück, wo der Beobachter nur stört. Sie wird, wenn man sie radikal denkt, zum Mechanismus reiner Beliebigkeit von Unterscheidungen in einem System ohne Subjektivität. Hier erscheint ein Homunkulus, der sich selbst reproduziert und dessen System wir – eingeschlossen in der binären Paradoxie von Erzeugung und Erzeugtsein – nie werden fangen können. Dabei sind wir bereits Fänger und Gefangener in einem. Aber hierbei bleibt es nicht, denn Luhmann will uns durchaus unsere Funktionsfähigkeit im System zurückgeben. Also fängt er uns ein System von Unterscheidungen – seine eigenen –, die wie eine göttliche Maschinerie doch alles aufklären.
Diese Maschinerie wird politisch aber auch bei Luhmann auf jene Eigenwerte zurückgesetzt, die sich standardisiert in der Gesellschaft als Selbstbeschreibungszustand ergeben haben und denen sich die Subjekte scheinbar ergeben müssen. Denn er hat durch seine Setzungen ja nun keine Subjektivität mehr, mit der man überhaupt gegen die vorgängige Welt der Unterscheidungen streiten könnte. Damit aber fällt er in ein Loch eigen gesetzter Paradoxie: Denn nur eine Verständigungsgemeinschaft von Subjekten wird über diese entsubjektivierte Unterscheidungswelt urteilen und den Anschluss an diese suchen oder sie verwerfen und vergessen. Für den Beobachter solcher Verständigungsgemeinschaften aber tritt dann die interessante Frage auf, aufgrund welcher Motive (auch welcher Psyche) diese Beobachter das tun, was sie tun. Und schon sind wir wieder an Beobachtungsorten angelangt, die Luhmann entsubjektiviert eigentlich ausschließen wollte.
Luhmanns Erkenntnisinteresse orientiert sich an funktionalen und oft konservativen Ansprüchen. Er hält nichts von der postmodernen Diskussion, die mit Zweifel und Dekonstruktion das Projekt der Moderne in Frage stellt. So kann man nur „Aversionen gegen die eigentlich tragenden Strukturen unseres Gesellschaftssystems ausleben. Da aber die moderne Gesellschaft faktisch alternativenlos besteht und sich fortsetzt, hat es wenig Sinn, sich semantisch derart ins Abseits zu begeben. Wenn man die moderne Gesellschaft dagegen strukturell durch funktionale Differenzierung definiert und die semantischen Erfordernisse mit Begriffen wie Polykontextoralität, Beobachtung zweiter Ordnung, Unterscheidung von Unterscheidungen, insbesondere der Unterscheidung von Codeproblemen (z.B. wahr/unwahr) und Referenzproblemen (Selbstreferenz/Fremdreferenz) daraus ableitet, liegt jedenfalls ein strukturreicheres Angebot für Beobachtungen und Beschreibungen vor.“ (Ebd., S. 710)
Immerhin gesteht Luhmann zu, dass auch seine Beschreibungstheorie sich der Beobachtung aussetzt und es sich nur um eine Kommunikation handelt. Gleichwohl wird ein gesellschaftspolitisches Interesse bei ihm deutlich, wenn er die moderne Gesellschaft als ein alternativenloses Konstrukt setzt, das grenzenlos auf funktionelle Differenzierung wird vertrauen müssen. Solche Differenzierungen nach dem binären Code von wahr/unwahr, wobei sich solche dualistischen Unterscheidungspaare beliebig erweitern und aufstellen lassen, führen jedoch oft zu kausalen Erklärungsmustern, die die Zirkularität und damit auch die systemische Wirkungsweise übergehen. Auch wenn Luhmann Zirkularität bzw. Rekursivität in Kommunikationen zugesteht, so knüpft er sie durch seine Unterscheidungslehre zugleich in das System einer binären Codierung, die er nach den Maßstäben funktioneller Ausdifferenzierung der Gesellschaft selbst in Zuweisungsbereiche verbannt. So wird etwa die Wissenschaft von anderen Bereichen der Gesellschaft dadurch ausgeschlossen, dass sie nicht an dem teilhaben soll, was in die binären Codierungen der anderen fällt. „Die Wissenschaft kann nicht rechtsprechen. Sie kann nicht im Kontext von Regierung und Opposition operieren. Sie kann nicht zwischen Zahlen und Nichtzahlen entscheiden. Sie kann nicht der Immanenz eine Transzendenz gegenüberstellen, also auch nicht von Gott sprechen. Sie kann natürlich beschreiben mit dem Anspruch, dies mit wahren Aussagen zu tun, dass es solche Codierungen gibt und dass sie in der Gesellschaft von anderen Funktionssystemen benutzt werden. Aber sie kann, eben weil sie gehalten ist, diese Codes anderen Funktionssystemen zuzurechnen, die entsprechenden Symbolisierungen nicht selbst in Anspruch nehmen, die entsprechenden Operationen nicht selbst vollziehen. Sie kann nicht in die Autopoiesis eines anderen Systems eintreten. Sie kann keine Regierung absetzen.“ (Ebd., 300 f.)
Kaum deutlicher kann die Beschränktheit des wissenschaftlichen Beobachters hervorgehoben werden. Wer aber sind die Menschen, die Recht sprechen? Wer befindet sich in der Regierung? Wer ist in der Opposition? Wann hat man ein transzendentales Problem? Von wem werden Regierungen abgesetzt? Ich könnte die Kette der Fragen beliebig erweitern, um zu der Feststellung zu gelangen, dass dies immer auch Beobachter sind, dass unter diesen Beobachtern auch Wissenschaftler sein können. Ja, will man an einen Restbestand der Vernunft im Projekt der Moderne glauben, dann sollte man sogar hoffen, dass unter jenen Beobachtern, die die Dinge in die Hand nehmen, auch solche sind, die sich wissenschaftlich gebildet haben. Was aber sollen dann diese künstlich aufgerichteten Grenzen? Dienen sie nur dazu, ein autopoietisches System, das Luhmann sich ausgedacht hat, zu stabilisieren, indem sie seine Plausibilität durch unterscheidende Begrenzungen aufweisen? Hier schlägt die Entsubjektivierung der Kommunikation auf den Urheber selbst zurück: Wissenschaft wird auf einmal zu einer Falle ausschließender Begrenzungen, die ihre zirkuläre Vermitteltheit mit anderen Bereichen in die Ferne rückt. Zwar mag dies faktisch in der arbeitsteiligen Welt der Moderne oft so erscheinen, aber es wird fatal, wenn sich dadurch eine Rolle der Wissenschaft als eine Zielsetzung festschreibt, die sich vom gesellschaftlichen Handeln immer mehr ablöst und entfremdet. Hier wird der gesellschaftsferne wissenschaftliche Technokrat gebildet.
Meine Beobachtertheorie geht genau den gegenteiligen Weg: Beobachtung im engeren Sinne, auf die sich Wissenschaft oft kapriziert, ist durch die Anerkennung der Kränkungsbewegungen in unserem Jahrhundert zunehmend mehr gezwungen, sowohl in den Natur- wie Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, sich verschiedenen Bereichen von Beobachtung zuzuwenden, auch wenn sich dadurch die Schärfe der Beobachtungen selbst relativiert. Insoweit sind die Ideen der Postmoderne gar kein Gegensatz zu der scheinbaren Alternativlosigkeit der modernen Gesellschaft, weil es die moderne Gesellschaft in ihren Modernitätsansprüchen ohnehin nicht mehr gibt, sondern weil die moderne Gesellschaft sich in Widersprüchlichkeiten ausdifferenziert, wie sie von Autoren der Postmoderne besonders anschaulich charakterisiert werden (vgl. z.B. Bauman 1995 – 2001). Aus dieser Sicht ist aber nun gerade der gebildete konservative Technokrat, der in seinem Segment wissenschaftlicher Abgeschiedenheit seine operativen Codierungen durchführt, kein Idealtypus einer gesellschaftlichen Entwicklung, in der der Kampf um Demokratie und menschliche Rechte alle Bereiche unserer Lebensformen durchdringt.
Der Rückzug auf eine Welt der binären Codierung ist so gesehen ein möglicher, aber keinesfalls für alle Beobachterbereiche sinnvoller Weg. Politisch führt dieser Weg in eine technologische Wissenschaftsauffassung, die kaum als geeignet erscheint, Wissenschaft auch als Kritik zu betreiben. Dies hat Jürgen Habermas in seiner Kritik an Luhmann deshalb auch deutlich hervorgehoben. Zwar mögen die Unterscheidungen Luhmanns für Betrachtungen der sozialen Differenzierung, der Funktionsteilung der Gesellschaft selbst interessant sein, aber es dürfte schwierig, wenn nicht unmöglich sein, sie sinnvoll auf Bereiche der Beziehungswirklichkeit und mit Beziehungen vermittelten Lebenswelt zu beziehen. Die operationale Geschlossenheit des autopoietischen Systems Kommunikation, die Luhmann unterstellt, zwingt ihn in die Behauptung einer binären Codierung, und damit in eine Unterscheidungsfalle, die den kommunikativen Prozess verzerrt. Es ist deshalb folgerichtig, dass er das Subjekt, das Bewusstsein aus dem Kommunikationsprozess eliminieren muss. Daraus entsteht eine Art Selbstbewegung, eine Maschinerie, die uns wie eine schöne Hülse lockt: „Das System zieht durch das bloße Operieren aufgrund eines besonders codierten Mediums eine Grenze zur Umwelt. Es produziert seine eigene Einheit und damit, ob reflektiert oder nicht, eine Differenz zu alldem, was nicht dazu gehört. Das, was diese Operation ermöglicht und trägt, ist zunächst nur die Kopplung des Systems mit Bedingungen, die ihrerseits nicht in den Vorgang der autopoietischen Reproduktion eingehen, also nicht rekursiv mit verwendet werden, wenn die weiteren Operationen ermöglicht werden. Nur ein Beobachter kann all das, was damit ausgegrenzt ist, als Umwelt des Systems auffassen; denn eine Anwendung der Unterscheidung von System und Umwelt zur Bezeichnung, sei es des Systems, sei es seiner Umwelt, ist immer schon Beobachtung. Das System produziert also eine Differenz, aber es gehört nicht zu den operativen Notwendigkeiten, dass es diese Differenz als Unterscheidung in das System übernimmt. Die Autopoiesis erfordert nur weiteres Operieren im Anschluss an Resultate vorheriger Operationen. Die Unterscheidung von System und Umwelt ist stets eine zusätzliche Leistung eines Beobachters, der natürlich seinerseits ein autopoietisches System sein muss.“ (Ebd., 310 f.) Verschiebe ich ein wenig die Ausgangsposition dieser Aussagen, so ergibt sich für mich ein deutlicherer Sinn: Es ist nicht ein System, das seine Grenze zur Umwelt definiert, sondern es ist ein Bewusstsein, das sich intersubjektiv mit anderen verbindet, um solche Grenzen zu definieren und in einer Verständigungsgemeinschaft anzuerkennen. Systeme sprechen nämlich nicht selbst. Warum sollten sie auch? Der einzige Grund, sie selbst sprechen zu lassen, liegt vielleicht darin, ein Unterscheidungskalkül verallgemeinert zur Norm erheben zu wollen, um damit doch einen Rest jenes Anspruches zu sichern, der sich als technisches Erkenntnisinteresse an die Vorgängigkeit bestimmter gesellschaftlicher Werte heftet. Darin aber bleibt dann die Leistung eines Beobachters völlig unklar. Im Bereich der Kommunikation ist der Teil des autopoietischen Systems Kommunikation, als Beobachter ist er zugleich autopoietisches System selbst, in anderen Bereichen ist er Teil von anderen autopoietischen Systemen. Was aber ist dann noch die Trennschärfe des autopoietischen Systems selbst? Luhmann kann sich zwar wie Maturana durch den Kunstgriff der strukturellen Kopplung gegen jede Kritik immunisieren bzw. sich auf die zugestandenen Möglichkeiten der Beobachtung oder Beobachtung von Beobachtung zurückziehen. Die Maschinerie des Systems scheint dann das eigentlich Interessante zu sein, ein Interesse, das sich von der funktionalen Ausdifferenzierung einerseits und den Anschlussfähigkeiten in dem System andererseits leiten lässt. Aber schon die Grundidee dieser Maschinerie selbst bleibt für mich zweifelhaft. Habermas drückt dies sehr ironisch aus, wenn er schreibt: „Der Aktenfluss zwischen Ministerialbehörden und das monadisch eingekapselte Bewusstsein eines Robinson liefern die Leitvorstellungen für die begriffliche Entkopplung von sozialem und psychischem System, wobei das eine alleine auf Kommunikation und das andere allein auf Bewusstsein basiert sein soll.“ (Habermas 1991 a, 437)13
In der Tat erscheint das psychische System als eine Art Robinson-Modell, weil es ja von Luhmann aus aller Intersubjektivität herausgelöst wird. Das funktionale System hingegen scheint sich in den Unterscheidungen eines Aktenflusses zu legitimieren und zu differenzieren, so dass die Unterscheidungen des konstruktivistischen Wissenschaftssystems, das sich Luhmann vorstellt, dem Bürokratismus des Funktionssystems Gesellschaft entsprechen. Fragt man nach der Quelle des Interesses einer solchen Unterscheidung, dann sieht Habermas sie darin, dass Luhmann keinen konzeptuellen Anschluss „an die genuin sprachliche Intersubjektivität von Einverständnis und kommunikativ geteiltem Sinn“ (ebd.) gewinnt.
Es ist in der Tat eine große Schwachstelle in dem Luhmannschen Programm, dass er durch die reduktionistische Vorgängigkeit seines autopoietischen Modells sowohl ein Verständnis für die Zirkularität von Beobachterbereichen, dann aber auch für die Zirkularität von Unterscheidungen und Beobachtungen in diesen Bereichen wie auch für die Modi des Beobachtens selbst verliert. Psychische Systeme erscheinen wie kleine Robinsonaden, die sich allenfalls in einer biologischen Ordnung unter dem Blick struktureller Kopplung entweder mehr auf das Bewusstsein oder mehr auf die Kommunikation richten, die sich darin in einer Art Koevolution befinden. Luhmann macht sich mit mehreren Ausdifferenzierungen seiner Theorie an solchen angreifbaren Stellen gegen Kritik dadurch immun, dass er immer weitere Sonderfunktionen und Zugeständnisse an die Überbrückung des ursprünglich gesetzten Bruches zwischen Bewusstsein und Kommunikation setzt. Habermas markiert in seiner Kritik insbesondere die sekundäre Rolle der Sprache, die bis hin zu einer Verkennung des Wechselverhältnisses von Sprache und Bewusstsein reicht. Notwendigerweise allerdings fällt die Kritik von Habermas an dieser Stelle begrenzt aus, da er auf sprachanalytischem Wege die kommunikative Teilhabe an einer im sprachlichen Weltbild repräsentierten Lebenswelt klären will, wohingegen Luhmann unter Aufnahme empiristischer Denkfiguren eher die selbsterzeugten Konstruktionen in den internen Ausdifferenzierungen des Systems der Kommunikation selbst mittels Beobachtern situiert. Sinn innerhalb des psychischen Systems existiert für Luhmann jeweils nur in den selbstbezüglichen Operationen, die wissen, dass sie in den Selbstbezüglichkeiten eines anderen Menschen als Umwelt vorkommen. Hieraus entwickelt sich eine Unendlichkeit von Selbst- und Fremdbeobachtungen, wobei die Beobachtung des wechselseitigen Beobachtens ein Verständnis für Unterschiede in den Auffassungsperspektiven erbringen kann. Luhmann sieht keine Brücke hin zu einem Sinnverstehen, in dem sich Individuen um ein Identisches bemühen, in dem sich intersubjektiv Sinn- und Geltungsansprüche teilen. Zwischen den verschiedenen psychischen Systemen gibt es kein gemeinsames Drittes, denn das kommunikative System existiert getrennt von den psychischen Systemen, es existiert als autokatalytisch entstandenes soziales System, das seine eigenen Grenzen trägt.
In der Arbeit „Soziale Systeme“ schreibt Luhmann: „Für die wenigen Hinsichten, auf die es im Verkehr (sich wechselseitig beobachtender selbstreferentieller Systeme) ankommt, mag ihre Informationsverarbeitungskapazität ausreichen. Sie bleiben getrennt, sie verschmelzen nicht, sie verstehen einander nicht besser als zuvor; sie konzentrieren sich auf das, was sie am anderen als System-in-einer-Umwelt als Input und Output beobachten können, und lernen jeweils selbstreferentiell in ihrer je eigenen Beobachtungsperspektive. Das, was sie beobachten, können sie durch eigenes Handeln zu beeinflussen versuchen, und am Feedback können sie wiederum lernen.“ (Luhmann 1984, 157)
Die daraus entstehende immanente Ordnung nennt Luhmann soziales System. Es verarbeitet Sinn in der Form von Kommunikation. Aus dieser Kommunikation heraus erfolgt die soziale Konstruktion der Realität, wobei das kommunikative System einen strikt empirischen und durch das System konditionierten (strukturdeterminierten) Sachverhalt darstellt (vgl. Luhmann 1992 a, 110). Sinn ist damit an die Beobachtungen geknüpft, die ein Beobachter oder ein Beobachter des Beobachters usw. machen. Hier gibt es nicht wie bei Habermas die Hoffnung auf eine übergreifende Systemperspektive durch Sprache, in der ein Verständnis zu einer Sache mit Bezugnahme auf die Möglichkeit eines Konsenses begründbar wird, den wir miteinander über die Sache erzielen (vgl. Habermas 1991 a, 441). Bei Luhmann erfolgt die Geltung einer Äußerung nicht in der intersubjektiven Anerkennung von kritisierbaren Geltungsansprüchen, wie Habermas es fordert, sondern in einem Konsens, den Beobachter aus den Positionen von Alter und Ego herstellen, der seine Gründe an der Zeitperspektive gewinnt, und der die Per­spektive von Erkennen und Handeln im Beobachten selbst zusammenfallen lässt. Für Luhmann geht es zunächst „um ein operatives Beobachten von Beobachtungen, also um ein Unterscheiden, das unterscheidet, was und wie andere unterscheiden.“ (Luhmann 1992 a, 113)
Solcherlei Unterscheidungen sind allerdings nicht beliebig. Wissenschaft baut zwar auf selbsterzeugter Unsicherheit auf (ebd., 103), gleichwohl ergibt insbesondere die Zeitperspektive im System Bezugspunkte, die als Kondensation eine Reaktion auf Identisches erzeugt, die als Konfirmation die Übertragung dieses Identischen auf andere Situationen und deren Andersheit erzeugt. In der Kondensation zeigt sich, dass in einem System etwas aus der Fülle des gleichzeitig Aktuellen bestimmt werden muss, und zwar unter der Bedingung der Wiederholbarkeit, der Wiedererkennbarkeit und der Wiederverwendbarkeit. Im kommunikativen Prozess beispielsweise kommt der Sprache eine solche kon­densierende Funktion zu, indem die Kommunikation auf Worte aufgebaut werden kann. In der generalisierenden Konfirmation, die eine Wiederholung des Kondensats bedeutet, entstehen neue Sinnbezüge. Denn eine zweite oder dritte Bestätigung ist schon mehr als eine erste. Im Zusammenhang eines Systems, wie z.B. der Kommunikation, entsteht durch den doppelseitigen Prozess des Kondensierens und Konfirmierens eine Art Vertrautheit mit der Welt. Auf der Seite des Beobachters führt ein solcher vertrauter Umgang zu Eigenwerten, d.h. zu gewissen Sinnmarken, „die Anhaltspunkte für ein weiteres Beobachten fixieren, die stabil sind, auch wenn (und gerade weil) sie aus unterschiedlichen Perspektiven benutzt werden und dies durchschaut wird. Die Sprache, von der jedermann weiß, dass sie nicht mit den bezeichneten Sachverhalten verwechselt werden darf, ist das eklatanteste Beispiel. Spielregeln jeder Art haben dieselbe Funktion.“ (Ebd., 114)
In diesem Sinne gewinnt ein kommunikatives System sein Eigenleben. Aus diesem Eigenleben heraus kann Luhmann immer wieder auf seine Suche nach funktionellen Differenzierungen kommen, mit denen er die Möglichkeiten dieses Eigenlebens zu beschreiben versucht. So kann Luhmann eine Perspektive einnehmen, die von den widerstreitenden Interessen der Subjekte im sozialen System, in der Kommunikation absieht, weil er gleichsam einen Blick auf alles erhält. Eigentlich ist dies gar nicht so weit von Habermas entfernt, der im Blick auf sprachliche Verständigungsprozesse ähnlich verallgemeinernd operiert, wenngleich bei Habermas die Problematik des Gegensatzes von Erkenntnis und Interesse nicht verwischt, sondern gerade zum Ausgangspunkt für eine Lösung genommen wird. Luhmann verwischt im Gegensatz dazu bereits den Ausgangspunkt, um damit auch die Lösungsmöglichkeiten als uninteressant abzuwerten.
Zur Strategie der Abwertung gehört insbesondere die Unterscheidung von psychischem und sozialem System. Mit Habermas möchte ich bestreiten, dass diese Unterscheidung überhaupt sinnvoll ist. „Mit den Aspekten des Sozialen und des Psychischen nimmt Luhmann gleichsam das Leben der Gattung und das ihrer Exemplare auseinander, um es auf zwei einander äußerliche Systeme zu verteilen, obwohl doch der interne Zusammenhang beider Aspekte für sprachlich konsti­tuier­te Lebensformen konstitutiv ist.“ (Habermas 1991 a, 442 f.)
Ich sehe keinen Grund, warum der Konstruktivismus mit dieser Trennung beginnen sollte. Das im Hintergrund stehende  Konzept der Autopoiesis wird hier in einem Analogieschluss von der Biologie auf die Gesellschaft übertragen, wird zu einer Art Metabiologie der Erkenntnis hoch stilisiert, um die Beobachtungen und den Beobachter auf die allgemeinsten Punkte einer Möglichkeit von Beobachtungen oder Beobachtern festzulegen. Gleichwohl bleiben diese allgemeinsten Punkte bei näherem Hinsehen nicht allgemein, sondern führen in der Theorie der funktionellen Differenziertheit von Gesellschaft bei Luhmann zu Setzungen, die er munter aus einer Sichtung soziologischer Sachverhalte bezieht und wie ein neues Puzzle dieser Wissenschaft zusammensetzt. Diese Begründung erscheint mir als zu stark. Sie ist zu stark in dem Sinne, dass sie eine Legitimation suggeriert, die gar nicht konstruktivistisch das legitimieren kann, was sie durch ihr Sprachspiel vorgibt. Sie isoliert die Beobachtung vom Beobachter.
Für mich bilden demgegenüber Beobachter und Beobachtung ein Spannungsfeld, das nie in eine Seite übergehen kann, sondern stets widersprüchlich bleiben wird.14 Schlage ich mich auf die ausschließliche Seite des Beobachters, dann wird alle Strukturierung der Welt durch ordnende Blicke und Aussagen fragwürdig, weil sie mich immer auf etwas Verallgemeinertes reduziert, was ich auch nicht bin. Hier streitet jedes Individuelle gegen jedes Allgemeine. Schlage ich mich hingegen auf die Seite der Beobachtung, dann entsubjektiviere ich das Beobachten, um mir einen Rest an strukturierter (z.B. funktional-differenzierter) Wirklichkeit zu erhalten, auf die ich wissentlich vertrauen kann, ohne ins Subjektive abrutschen zu müssen. Beide Positionen sind jedoch idealtypisch und darin bereits Wunschdenken eines Beobachters, weil sie die Spannung, die Beobachter und Beobachtung erzeugen, schon ausblenden und sich damit eigener Triebkräfte und Widersprüche entledigen, die sie doch zunächst zu problematisieren hätten.
Luhmann will seinen Ansatz nicht als eine Rechtfertigung des Fortschritts in der Wissenschaft begründen (vgl. ebd., 25). Sein Argument ist gesellschaftstheoretischer Natur. „Zu den strukturellen Merkmalen der modernen Gesellschaft, auf die es uns ankommt, gehört ein hohes Maß an funktionaler Differenzierung. Damit verbunden ist die Einrichtung binärer Codes, die es ermöglichen, alle Operationen, die einen solchen Code verwenden, dem dafür zuständigen System zuzuordnen – und dies nicht nur als Belieben eines externen Beobachters (den es nicht geben kann), sondern als Erkennungsverfahren, als Bedingung der Selbstidentifikation, als Bedingung des autopoietischen Operierens der betreffenden Systeme selbst. Wir meinen Codes wie: wahr/unwahr, geliebt/nicht geliebt, Eigentum haben/nicht haben/Unrecht, machtüberlegen/machtunterworfen als bestimmte staatliche Ämter, Regierung/Opposition, immanent/transzendent, siegen/verlieren im Sport, krank/gesund.“ (Ebd., 26) Diese Codes sind das Unterscheidungstableau, das zwar nicht nach moralischen Kategorien, nicht nach zu bevorzugenden Seiten ausgespielt werden soll, das aber zugleich mit universalistischer Relevanz ein Versprechen auf Geltung beinhaltet und in diesem Versprechen zugleich den Sinn und die Begründung für diese Geltung mitliefert.15 So liefert der Beobachter die Unterscheidungen, die den Beobachter unterscheiden lassen. Eben deshalb wird es mir wichtig sein, in der Beziehungswirklichkeit eine Logik von Beziehungen aufzuweisen, die ich als prinzipiell zirkulär charakterisieren werde (vgl. Band 2, Kapitel III. 2.). Diese Logik, die sich von binären Codierungen, von linearen Modellen und letztlich kausal verknüpften Zirkularitäten unterscheidet, gestattet einen anderen Zugriff auf das Problem der Codierung, als es uns Luhmann liefert. Zwar kann auch ich sehen, dass mit solchen unterscheidenden Paaren gearbeitet wird und dies mit Sinn hinreichend verbunden werden kann. Aber eine Beobachtertheorie kommt gleichwohl nicht umhin, sich in der Zirkularität von Beziehungen stärker der Offenheit von Sinn zu stellen. Luhmann mag solche Offenheit vielleicht als große Gefahr gespürt haben, um in seinem Modell der autopoietischen Geschlossenheit ein Denkmuster und Beobachtungsmuster auszuprobieren, das sich als letzter Allgemeinplatz einer Eindeutigkeit und Schärfe von Beobachtung noch codierbar hält. Ich glaube hingegen, dass Beobachtungen solche Form der Codierung nur dann erreichen, wenn sie aus der Beziehungslogik und ihrer Zirkularität wieder zurückdrängen auf eine wissenschaftlich objektivistische Beobachtungslogik im engeren Sinne, so dass der vermeintliche Gewinn zugleich auch einen hohen Verlust erbringt. Wird dieser Verlust übersehen, dann kann die Illusion weiter genährt werden, dass Wissenschaft doch so etwas wie letzte Beobachtungen oder Unterscheidungen unterhalten könnte, die über die Lebensformen und das Beziehungssystem hinaus wirken. Ich hingegen glaube, dass die Verstrickung viel komplexer ist: Die zirkuläre Verknüpfung von Beobachtungswelt und Lebens-/Beziehungswelt als Beobachtungs­welt erzeugt nämlich ein Spannungsverhältnis, das uns antreibt, nach Lösungen zu suchen, auch wenn diese angesichts einer Vermehrung von Beobachtungsvorräten – darunter auch funktionaler Differenzierung – immer vielgestaltiger werden.

f) Die Funktionalisierung sozialen Handelns
Der Ausgangspunkt der Bestimmung von Kommunikation bei Luhmann mag durch die bisherige Darstellung hinreichend umrissen sein. In einem Exkurs will ich aber noch näher der Frage nachgehen, wie Luhmann überhaupt die Trennung vom Bewusstsein begründet. Er entwickelt hierzu eine Theorie eines unterschiedlichen Realitätskontinuums, in dem autopoietische Geschlossenheit, Selbstbeobachtung und Umweltverhältnis realisiert werden. Dazu führt er zum Vergleich drei Bereiche an: lebende Organismen, Bewusstsein und Kommunikation.
Organismen sichern ihre Lebensfähigkeit in einer Umwelt und organisieren ihre Selbstbeobachtung mit Hilfe eines Nervensystems. Ihre Beobachtung richtet sich auf den Eigenzustand des Organismus. Das Bewusstsein entwickelt sich auf dieser Realitätsbasis mit der umgekehrten Tendenz, primär das zu beobachten, was es als Außenwelt sehen kann. Dabei ist es elementar auf die Wahrnehmung angewiesen. Bewusstsein wird von Luhmann nicht im Sinne von Geist oder übergreifendem Bewusstsein, sondern bloß individuell verstanden. „Eben deshalb geht es an den Realitäten vorbei, wenn man das Bewusstsein (wessen Bewusstsein?) zum Subjekt der Kommunikation und des Wissens erklärt.“ (Luhmann 1992 a, 565 f.) Da Luhmann das Bewusstsein dermaßen individualisiert, da er den Begriff des Geistes oder ähnlich gelagerte Begriffe verwirft, schließt sein Begriff von Gesellschaft die Voraussetzung von Intersubjektivität aus (vgl. ebd., 619). „Er schließt außerdem aus, dass wir Wissen als gesammelt und vorhanden in den Köpfen der Individuen begreifen. Selbstverständlich soll nicht bestritten werden, dass jeder einzelne etwas weiß, der eine mehr, der andere weniger. Aber mit gesellschaftlicher Kommunikation wird eine andere Systemreferenz anvisiert, von der aus gesehen das Wissen der Individuen Umwelt ist. Die gesellschaftliche Erzeugung und Verwendung von Wissen im Zuge der Reproduktion von Kommunikation aus Kommunikation kann daher nicht auf Individuen zugerechnet werden, weder auf einzelne, noch auf die Wissenschaftler, noch auf alle.“ (Ebd., 619)
Folgerichtig beschreibt Luhmann für die Kommunikation eine autopoietische Geschlossenheit, die das System der Kommunikation sozusagen unabhängig von den Individuen und ihrem Bewusstsein entwickelt. Wissen entsteht für Luhmann als Resonanz auf strukturelle Kopplung des Gesellschaftssystems, ohne unterstellbares Wissen gibt es scheinbar keine Kommunikation (vgl. ebd., 122).
Erneut finden wir hier eine Ausdifferenzierung seiner Theorie, die die Autopoiese des Systems relativiert. Resonanz wird zu einer Metapher für Leistungen, die die geschlossene Operationalität übersteigen. Wissen nennt er auch Kondensierung von Beobachtungen. In diesem geht es um eine „Neutralisierung des Eigenbeitrags psychischer Systeme“ (ebd., 143), um den Ausschluss von Erleben und die Anonymisierung von Teilnehmern. Wenn Luhmann auch recht damit hat, dass es keine konkurrenzfrei operierenden Beobachterpositionen mit ausschließlichem Wahrheitsgehalt geben kann, so bleibt dieser Vorbehalt auch seiner Theorie gegenüber zu üben. Seine recht apodiktischen Behauptungen und seine kunstsprachlichen Konstruktionen, die auf einfachen unterscheidenden Setzungen aufbauen, gebären eine recht geschlossene Welt, in der nur noch das Luhmannsche Wissenschaftskonzept Realitäten richtig zu konstruieren scheint. Die zentrale Begründung für diese Annahme lautet: „Der Konstruktivismus reflektiert Erkenntnis als geschlossenes System ohne Zugang zur Außenwelt. Er reduziert den Außenkontakt auf eine nur für Beobachter sichtbare strukturelle Kopplung, die im System (und nur dort) Irritationen erzeugen kann, die sich an dessen Strukturen zeigen und zu Neuspezifikationen dieser Strukturen mit Mitteln der systemeigenen Operationen führen können. Damit ist ein System beschrieben, das genau dem entspricht, was eine Theorie funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung erwarten ließe: Ein durch Ausdifferenzierung geschlossenes, funktionsspezifisch codiertes Teilsystem“ (ebd., 530 f.).
Wie verhält es sich dabei nun mit dem sozialen Handeln? Erscheint es nicht mindestens in den Verhältnissen der Beobachter zueinander? Die Unterscheidung einer Beobachtung erster und zweiter Ordnung setzt ja irgendwie kommunizierende Beobachter voraus. Jede Beobachtung bezeichnet für Luhmann etwas und unterscheidet sich dadurch von einer anderen. Bei Beobachtern wirkt eine doppelte Unterscheidung: Einerseits wird der Beobachter von dem unterschieden, was er beobachtet, andererseits unterscheidet sich die Beobachtungsoperation von anderen Operationen. Damit wird die Beobachtung zweiter Ordnung, die einen Beobachter beobachtet, als empirische Situation festgehalten. Wie der erste Beobachter, so kann auch sie keinen privilegierten, keinen extramundanen Standpunkt in Anspruch nehmen, um gleichsam von höherer Warte einen Beobachter sich eindeutig und absolut sicher zu bestimmen. „Ihre Besonderheit liegt nur in der autologischen Komponente ihres Beobachtens, d.h. darin, dass sie aus der Beobachtung ihres Gegenstandes Schlüsse auf sich selbst ziehen muss. Insofern ist sie selbst das, wovon sie sich unterscheidet. Sie selbst ist das, was sie nicht ist. Sie selbst ist als Beobachtung zweiter Ordnung eine Beobachtung erster Ordnung.“ (Luhmann 1993 a, 15 f.) Ihr autologisches Verfahren ist damit nichts anderes als die Auflösung dieser paradoxen Situation, in die sie gestellt ist, indem sie sich selber beobachtet.
Nun ist jedoch die Beobachtung zweiter Ordnung nicht nur Beobachtung erster Ordnung. Luhmann schlussfolgert, dass sie mehr und weniger ist. Zunächst ist sie weniger, weil sie als Beobachtung zweiter Ordnung nur einen Beobachter beobachtet. Sie scheint zugleich jedoch auch mehr zu sein, weil sie diesen Beobachter nicht nur in seinem Tun, in seinen gegenständlichen Vermittlungen und was auch immer beobachtet, sondern auch beobachtet, was er sieht, wie er sieht, was er nicht sieht, wie er nicht sieht usw., so dass sie alles zu sehen scheint, was es zu sehen gibt. Dieser Beobachtung mag die Welt zu einer Überwelt aller beobachtbaren Welten werden, denn die „Reduktion der Komplexität, die darin liegt, dass man nur einen Beobachter beobachtet und diesen unterscheiden und bezeichnen muss, ist Bedingung der Möglichkeit einer Steigerung der Komplexität von Beobachtungsmöglichkeiten.“ (Ebd., 16)
Allerdings sieht dieser Beobachter des Beobachters sich im Moment des Beobachtens nicht selbst, weil er in der Unterscheidung, die er trifft, sich nicht selbst unterscheiden kann. Dies bliebe einem Beobachter vorbehalten, der gleichsam hinter dem Rücken des zweiten Beobachters einen dritten Beobachter spielen würde usw. So wird sich der jeweilige Beobachter selbst zum blinden Fleck. Die Beobachtung des Beobachters mag in unterschiedlichsten Konstellationen erscheinen. Ohne auf Ursachen näher einzugehen, nennt Luhmann z.B. folgende: „Die Stellung des Lesers zu den Helden des Romans, das Beobachtungsschema manifest-latent, das Geschichtlichwerden der Geschichtsschreibung; und man könnte hinzufügen: das romantische Arsenal von Kritik, Ironie, ‚Besonnenheit‘, Mystifikation als Mitspielen von Selbstbeobachtungen des Beobachters oder die seit der Französischen Revolution unausweichliche Einsicht in die Ideologieabhängigkeit politischer und gesellschaftlicher Wertungen. In diesem Zusammenhang entsteht jene neuartige Reflexion, die es darauf anlegt, sich selbst als Beobachter zu beobachten oder auf diese Weise nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkennen und Handeln zu fragen.“ (Ebd., 20)
Der Beobachter zweiter Ordnung ist mithin ein Typus der Moderne, der uns durchaus vertraut ist. Wie jedoch kann ich als Beobachter zweiter Ordnung mir je gewiss sein, inwieweit ich die zutreffenden Unterscheidungen treffe, die ich dem Prozess des Beobachtens selbst zugrunde lege? Im Sinne einer eindeutigen Codierung bestimmt Luhmann dies so, dass der Beobachter, der eine Unterscheidung benutzt, um etwas zu bezeichnen, nicht gleichzeitig auch diese Unterscheidung bezeichnen kann, weil dies seiner ersten Bezeichnung die Grundlage entziehen würde. „Aber ein Beobachter kann einen anderen Beobachter oder auch sich selbst als anderen Beobachter beobachten, wenn er darauf achtet, welche Unterscheidungen der beobachtete Beobachter benutzt. Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung kann man also Unterscheidungen unterscheiden.“ (Ebd., 8) Das autologische Konzept umspannt also die Beobachtung erster Ordnung wie auch die Beobachtung zweiter Ordnung. In beiden Konzepten zwingt es zu Rückschlüssen auf sich selber, wobei aus selbstreferenten Gründen ein Beobachter zweiter Ordnung sich an die Gründe eines Beobachters erster Ordnung anschließen kann. So kann eine ganze Reihe von Beobachtern hintereinander stehen, die allesamt selbstreferent erscheinen, die aber zugleich das Erbe der Vernunftgründe in ihren Beobachtungen reklamieren (vgl. ebd.).
Um diese abstrakten Begrifflichkeiten mit Leben zu füllen, will ich am Beispiel des Sozialsystems Familie Luhmanns Argumentation überprüfen (vgl. ebd., 196 ff.).
Luhmann beschreibt die Familie als ein soziales System, wobei er auch hier seine Trennung von psychischen und kommunikativen Wirklichkeitsbereichen durchführt. So wird die psychische Realität wie auch die kommunikative Realität von Familienmitgliedern als jeweils gegeneinander geschlossenes, unterschiedliches autopoietisches System zugrunde gelegt. Familie erscheint damit nur noch als ent­subjektivierte Struktur, als ein Merkmal dessen, was Luhmann Kommunikation nennt. „Das Sozialsystem Familie besteht danach aus Kommunikationen und nur aus Kommunikationen, nicht aus Menschen und auch nicht aus ‚Beziehungen‘ zwischen Menschen.“ (Ebd., 197) Der Beziehungsbegriff ist Luhmann ohnehin obskur. Er „bildet oft den Ausweg aus einem schon verkorksten Theorieanfang“ (ebd.). Insoweit fällt Batesons  Unterscheidung von Inhalts- und Beziehungsebene bei Luhmann in einer inhaltlichen Kommunikation zusammen, die er als ein autopoietisches System mit selbstproduzierten Elementen von Personen, Mitgliedern der Familie, umschreibt. Der Begriff der Person ist für ihn dabei wichtig, um die abgetrennte Psyche des Individuums nicht doch wieder in das autopoietische System der Kommunikation eindringen zu lassen. Das soziale System Familie selbst ist allerdings nur ein geschlossenes System im größeren Bereich der Gesellschaft. Die selbstreferentielle Schließung des Systems Familie und die damit erzeugte autopoietische Systemautonomie werden durch die Umweltabhängigkeiten intensiviert. System und Umwelt unterscheiden sich hier, wobei die Beobachtung dieser Unterscheidung von den kognitiven Kapazitäten eines Beobachters abhängen. Will man über diese kognitiven Kapazitäten etwas aussagen, so muss man sich als Beobachter des Beobachters etablieren. Nun gehört es aber zur Modalität von Sozialsystemen, dass sie sich selbst als Systeme in einer gesellschaftlichen Umwelt beobachten können. „Dazu bedarf es eines ‚re-entry‘, d.h. der Wiedereinführung einer Unterscheidung durch das durch sie Unterschiedene. Im Falle von Systemen heißt dies: Die Wiedereinführung der operativ produzierten Differenz von System und Umwelt als Unterscheidung in das System.“ (Ebd., 200) Dieses „re-entry“ wird nun an Personen vollzogen. Dabei wird externes Verhalten, d.h. ein Verhalten, das nicht familienbezogen ist, ebenso wie internes Verhalten für das System selbst intern relevant. „Person – das ist der Identifikationspunkt des Gesamtverhaltens eines Menschen innerhalb und außerhalb der Familie.“ (Ebd.) Solche Personen sind natürlich auch Konstrukte von Beobachtern.
Man sieht an diesen Unterscheidungen sehr deutlich, wie die Grundannahme eines autopoietischen Systems Luhmann in immer weitere Spaltungen zwingt, um an Ersatzbegriffen der Psyche – hier durch den Personenbegriff ausgedrückt – doch wieder so etwas wie Identität herzustellen. Es ist allerdings eine Identität, die einer scheinbar klaren binären Codierung unterliegt, weil Ambivalenzen oder Widersprüche innerhalb des Identischen hier unsichtbar werden. So wird ein externes Verhalten als ein empirisch beobachtbares Verhalten eingeführt, das in anderen Konditionsbereichen wie Beruf, Straßenverkehr, Freizeitbeschäftigung usw. Geltung hat. Ja, selbst die Einsamkeit, ein Handeln für sich, gilt aus dieser Perspektive als externes Verhalten. Damit sind Leib, Seele, Bewusstsein von Familienmitgliedern externes Verhalten. Internes Verhalten hingegen ist das kommunikative Verhalten im Sozialsystem Familie selbst.
Zugleich unterscheidet Luhmann Personen und psychische bzw. organische Systeme. In Personen verkörpert sich jedoch anders als in der von Luhmann unterstellten Eigenstruktur determinierter psychischer Systeme jenes kommuni­kative Element, das seine Anschlussfähigkeit in der Ausschließlichkeit des Kom­munikativen selbst sucht. Damit ist ein Schubladenmodell des Menschen entworfen, das die Beobachtungsvorräte und Modi der Beobachtung in einzelne getrennte Bereiche sortiert, das sich der Spaltung von Begrifflichkeiten unterordnet, um sich seine vorausgesetzte Beobachtungsperspektive zu bewahren. Was Luhmann unterschlägt, das ist, dass seine Unterscheidungstheorie damit eben nur einen bestimmten Fokus auf mögliche Beobachtungen ausübt, einen Fokus, den ich als Beobachtung im engeren Sinne bezeichnen möchte, dass er jedoch scheinbar durch sein Modell des „re-entry“ und seine formale autopoietische Geltungstheorie ein universalistisches Muster gefunden zu haben scheint, das Beobachtung überhaupt situiert. Im Bereich der Beschreibung des Familiensystems wird die ganze Künstlichkeit seines Modells überdeutlich, weil er die Wechselwirkungen in der Kommunikation abgelöst von den psychischen Mechanismen der einzelnen Individuen und damit auch abgelöst von den zirkulären Möglichkeiten der Situierung dieser Individuen durch Beobachtung verkürzt hat. Die Frage nach dem einzelnen psychischen System macht hier keinen Sinn. Die Frage eines möglichen Therapeuten an die Familienmitglieder nach ihrem je subjektiven Empfinden, nach ihren Erwartungen, nach ihrer Eigenstruktur, nach ihrer Eigenzeit, all dies erscheint als sinnlos, weil unter der empirischen Perspektive eines allgemein klassifizierenden Beobachters alles als Gleichzeitigkeit erscheint, alle Subjektivität getötet wird, alle mögliche Eigenzeit oder alles mögliche Eigenerleben von Subjekten negiert werden muss (vgl. ebd., 98).
Damit macht Luhmann sich den Weg frei, durchaus gewisse kommunikative Strukturen aus seiner eingeschränkten Sicht in sozialen Systemen, d.h. hier in der Familie, zu beobachten. So legt er insbesondere Wert darauf, die Familie als ein System mit enthemmter Kommunikation zu beschreiben. Die Familie unterliegt bestimmten funktionalen Veränderungen, wobei ihr eine große Last in der Sicherung sozialer Resonanz zugefallen ist. Luhmann fragt nun insbesondere nach diesen sozial-funktionalen Differenzierungen, um das autopoietische System Familie zu beschreiben. Aus diesem funktionalen Zusammenhang heraus verweist er dann immer auch auf die Psyche des einzelnen, die aber über den Personenbegriff verallgemeinert wird. Dabei entdramatisiert Luhmann die Familienkonflikte, indem er sie rein auf einer kognitiven Ebene belässt. Bei der ihm selbstverständlich erscheinenden Autonomie der Familie mag es dann „um die Frage gehen, ob nicht heute einmal der Mann das Geschirr abwaschen oder wenigstens beim Abtrocknen helfen sollte. Aber zu einer Kommunikation des Familiensystems führt dies nur im Kontext eines Rückgriffs auf die Frage, wer gestern, wer vorgestern, wer bisher immer abgewaschen hat; oder darauf, wie gerade vorher das Gespräch bei Tisch verlaufen ist; oder auch im Kontext mit anderen ‚Tests‘ dieser Art; oder in der Erwartung, dass man sich daraufhin leichter entschließen wird, eine Geschirrspülmaschine zu kaufen; und alles in allem: durch die Beobachtung der damit verbundenen Beobachtungen.“ (Ebd., 217) Die darin steckende Verharmlosung und Trivialisierung insbesondere inkongruenter Bewegungen, die Vernachlässigung der zweiten und dritten von mir hervorgehobenen Kränkungsbewegungen, dies alles führt dann zu Schablonen des Unterscheidens, die allenfalls für theoretische Diskurse unter der Perspektive allgemeinster Grundsätze taugen mögen. Im praktischen Umgang mit Krisen in Familien ist hingegen anderen konstruktivistischen Beobachtern längst deutlich geworden, dass allgemeine Unterscheidungslehren nicht ausreichen, dass weder Begriffe wie Person noch Rolle hinreichend definieren, was für die vielfältigen Blickwinkel des Systems Familie jeweils bedeutsam wird. Solche systemischen Blickwinkel können sich ohnehin nur in den Beiträgen der Familienmitglieder selbst äußern, wobei deren Psyche nicht ungeschieden von ihrer Kommunikation steht, sofern der Beobachter den Vermitteltheiten solcher konstruierter Unterscheidungen genügend Aufmerksamkeit schenkt. Wir sollten damit zwar nicht den Unterschied einebnen, den auch Luhmann bedenkt, dass nämlich im Bereich der Kommunikationen durchaus rekonstruktive Zusammenhänge vorliegen können, aber Luhmann verkennt insgesamt, dass ein logisches Kalkül des „re-entry“ oder des Treffens von Unterscheidungen und des Sicherns von binären Codierungen allein nicht ausreichen wird, psychische Mechanismen besser zu verstehen. So hat Luhmann z.B. keinen Zugang zu den doppelten Botschaften, die auf der Inhaltsseite sich eindeutig geben, aber zugleich von der Beziehungssprache, d.h. insbesondere Körpersprache, Tonfall usw. gleich wieder negiert werden. Luhmann spart in seinen Arbeiten geflissentlich diese intersubjektiven Mechanismen aus, weil er sie der Psyche überantwortet und alle motivationalen, emotionalen Widersprüchlichkeiten in seinem System ohnehin vernachlässigt. Nur so lässt es sich überhaupt erklären, dass er in die Versuchung gerät, ein autopoietisches Modell auf soziale Systeme anzuwenden.
Das Beispiel der Intimkommunikation kann dieses Problem verdeutlichen helfen. „Wenn in Familien heute Intimkommunikation erlaubt, ja gefordert ist, heißt dies offenbar, dass man sich bei aller Kommunikation auch darum kümmern muss, wie der andere sie meint und wie er sie verkraften kann.“ (Ebd., 222) In diesem kommunikativen Zwang steckt für Luhmann ein derartig unwahrscheinliches Prinzip, „dass es, wenn überhaupt, nur in gesellschaftlichen Enklaven funk­tionieren kann. Es handelt sich, gesellschaftlich gesehen, um einen Ausnahmezustand, der nur deshalb nicht als pathologisch empfunden wird, weil er an wichtige Funktionen gekoppelt, weil also auch die Familie als Funktionssystem ausdifferenziert ist.“ (Ebd.) In dieser Aussage über Unwahrscheinlichkeit steckt allerdings auch die Behauptung einer Wahrscheinlichkeit, damit eine Wahrheitsaussage, die sich auf der autopoietischen Grundannahme aufbaut, denn erst aus dieser heraus wird verständlich, weshalb die Intimkommunikation mit dieser Beobachterkonstruktion versehen sein soll. Gegenüber einer bloß phänomenologischen Unterscheidung in den Verhältnissen der Intimkommunikation geht Luhmann damit den komplizierteren Weg. Er benötigt erst die vorgängige Unterscheidung einer systemtheoretischen Einbindung, um dann aus dieser heraus sich auf die Geschichte der Intimkommunikation einstellen zu können. Diese Rationalisierung des Beobachtungsvorgangs erhöht aber keineswegs die Sicherheit, mit der Aussagen gewonnen werden. Sicherheit gäbe es ja nur, wenn Luhmann seine Präferenzen in eindeutiger Weise absichern könnte, d.h. eine absolute Beobachtertheorie aufzurichten in der Lage wäre. Da er aber nachweislich dies nicht kann und auch nicht intendiert, fällt der systemtheoretische Anspruch notwendigerweise immer auch hinter die eigenen Setzungen zurück. Damit erreichen Luhmann eben doch die Milliarden Menschen, die mit ihren psychischen Systemen als Beobachter tätig sind und so erst zu dem abstrahierten Gebilde Kommunikation führen. Die Basis aller Beobachtung sind die Beobachter. Setzen wir sie ins Bild, tritt genau das in den Vordergrund einer Beobachtertheorie, was Luhmann zu sehr vernachlässigt: Intersubjektivität. Denn nur über die Intersubjektivität der Beobachter lässt sich noch so etwas wie Verständigung mittels Unterscheidungen erzielen, nur über Verständigungsgemeinschaften werden Beobachtungsvorräte und Modi der Beobachtung im Sinne z.B. von Zeit, Raum und Sozialität verteilt. Schließlich nimmt auch Luhmann an diesem Verteilungskampf teil.
Ich habe bisher besonders auf die trennenden Aspekte zwischen psychischem und kommunikativem System aufmerksam gemacht, um meine Abgrenzung durchzuführen. Allerdings relativiert Luhmann in einer abstrakten Terminologie teilweise auch diese Trennung von psychischen und kommunikativen Systemen. Da Kommunikation nicht ohne Beteiligung von Bewusstsein und damit von psychischen Mechanismen zustande kommen kann, da aber andererseits beide Systeme als autopoietische fungieren sollen, behauptet Luhmann beide autopoietischen Systeme immer wieder als strukturell gekoppelt. Diese strukturelle Koppelung lässt beide Systeme zu geschichtlichen Systemen werden. So bleibt ihre jeweilige Autonomie erhalten, andererseits muss Luhmann so nicht Wechselwirkungen und Auswirkungen der strukturellen Kopplung leugnen. Zu dieser strukturellen Kopplung gehört im wesentlichen die Sprache. Sie lässt einerseits Bewusstseins- und kommunikative Systeme entstehen, sie führt mit zur Entkopplung solcher Systeme, weil diese ja autopoietisch sein sollen, und sie führt zur Wiederkopplung dieser Systeme in der strukturellen Kopplung. Hier ist eine Terminologie am Werk, die sich gegen alle Unwägbarkeiten absichert, indem sie uns ein Sprachkonstrukt anbietet, in dem wir das eben noch Getrennte wieder zusammendenken und das eben noch Zusammengedachte wieder auseinanderdenken können. Insoweit muss Luhmann in seiner Theorie trotz seiner Einheitssuche nach funk­tiona­len Schematisierungen, für deren jeweilige Bevorzugung er uns allerdings kein theoretisches Konstrukt anbieten kann, das Phänomen des Bewusstseins nicht vollständig übergehen. Wenn er im Rahmen über das Familiensystem von der sozialen Semantik der Intimität spricht, dann bemerkt er insbesondere Beobach­tungs- und Unterscheidungsprozesse zwischen dem Individuum, die Seite, die er Bewusstsein nennt, und dem empirisch wahrnehmbaren Konstrukt von Interaktion, die Seite, die er Kommunikation nennt. „Was denkst Du, wenn Du merkst, dass ich mich bemühe, herauszubekommen, was Du denkst? Es geht, mit anderen Worten, um eine Kommunikation, an der psychische Systeme teilnehmen, die in die Kommunikation einzubringen versuchen, was sie erleben, wenn sie an der Kommunikation teilnehmen.“ (Ebd., 220) In diesem Fall wird die strukturelle Kopplung zwischen Bewusstsein und Kommunikation irritiert. Solche Irritationen werden zu Lernanlässen. Es sei jedoch eine Illusion, so argumentiert Luhmann, diese Irritationen als Normalfall aufzufassen. „In Wirklichkeit“, so schreibt er, ist dieser Sachverhalt „ganz außergewöhnlich, ja nahezu unmöglich (allein schon deshalb, weil kein Ich-Sagender wissen kann, was er bezeichnet, wenn er Ich sagt). Man muss die Kommunikation gewissermaßen Ich-rücksichtsvoll missbrauchen, will man ihr eine Mitthematisierung der an ihr beteiligten Bewusstseinssysteme abverlangen.“ (Ebd.)
Nun deutet Luhmann diesen Sachverhalt nicht so, wie ich es weiter oben versuchte, indem verschiedene Spannungszustände des Bewusstseins im Blick auf die Thematisierung von Beobachtung und Beobachterbereichen betont wurden. Er hingegen hebt auf allgemeine autopoietische Systembedingungen ab, die eben die Subjektivität der Individuen zu vermeiden versucht, indem sie Kommunikation überhaupt als einen strukturellen Vorgang begreift, der in sich geschlossen operativ verlaufen muss. Nur so scheint sich eine Legitimation der wissenschaftlichen Beobachtung zu ergeben, die sich auf spezifische Quellen, auf Texte, auf Aktenflüsse beziehen kann, ohne die Subjekte selbst befragen zu müssen. Nur so scheint auch von einer höheren Warte her das ausgeschlossen, was als Verständigungsgemeinschaft sich selbst noch in intersubjektivem Zweifel über das begeben könnte, was es beobachtet. Ein solcher Zweifel ist in der Maschinerie der Autopoiesis nach Luhmann gar nicht möglich. Damit wechselt er auf einen so allgemeinen Bezugspunkt von Beobachtung, dass aus ihm – ähnlich wie bei Maturana für den Lebensprozess biologischer Organismen – alles erklärbar wird. Gewiss bleiben diese Erklärungen an Beobachtungen gebunden und damit relativ. Aber diese Relativität selbst bleibt wie ein blinder Fleck in den Unterscheidungen, die Luhmann anbietet, weil er selbst die Voraussetzungen aller blinden Flecken uns mit einer für alle Fragen zutreffenden Beobachtertheorie verdeutlichen will. Nach meiner Beobachtertheorie glaube ich, dass die von Intersubjektivität gereinigten Unterscheidungen zur Beschreibung sozialer Systeme nicht so hilfreich sind, wie es Luhmann suggeriert. Sein Ansatz wird mit einer Reduktivität erkauft, die der Beobachtertheorie selbst bewusst bleiben muss. Genau dies aber ist der Mangel der Luhmannschen Setzungen, weil sie über kein Modell der Kränkungen von Beobachtungen selbst verfügt. Nur ein solches Modell aber könnte sie in die Lage setzen, sich in ihren eigenen Unterscheidungen relativierend zu begreifen und diese Unterscheidungen als ein Spiel zu verstehen, das letztlich dem Wunsch nach empirischer Sicherung von Verhalten und Absicherung von wissenschaftlicher Eindeutigkeit im Sinne der Beobachtungswirklichkeit im engeren Sinne gewidmet ist. Eine solche Theorie muss sich geradezu notwendig in Unterscheidungen abspalten, die das Dilemma der Unschärfe technisch minimieren und funktionalistisch umdeuten. Die Angreifbarkeit dieses Verfahrens wird von Luhmann allerdings dadurch kompensiert, dass sein unterscheidender Ansatz meist so allgemein bleibt, dass er für alles und nichts passt und damit den Kritiker vor die unlösbare Aufgabe einer nebulösen Durchforstung der möglichen Hintergrundimplikationen der Luhmannschen Diktion zwingt.
Neben der Beschreibung der Familiensysteme bietet die Sozialisation einen weiteren auf lebensweltliche Vorgänge bezogenen Ansatz, an dem man Luhmanns Intentionen deutlich ablesen kann (vgl. Luhmann 1987, 59 ff.). Sofern man die Sozialisation dem psychischen System zurechnet, das als in sich geschlossenes autopoietisches System funktioniert, besteht sie aus Elementen (Vorstellungen), die nur im System reproduziert werden und keinen direkten Kontakt zur Außenwelt haben. Das psychische System kann sich zwar eine Umwelt vorstellen, aber es ist dann je seine eigene Konstruktion oder Vorstellung von Wirklichkeit. Auch das Lernen muss innerhalb dieser Restrukturierung innerhalb eines geschlossenen Systems begriffen werden. Es gibt hier, wie wir es auch schon bei Maturana gesehen haben, keine instruktiven Interaktionen, d.h. Sozialisation „ist somit nur als Eigenleistung des sozialisierten Systems möglich, und den Anstoß dazu bietet die Erfahrung einer Differenz, die sich aus erfahrenen Zumutungen oder Erwartungen ergibt.“ (Ebd., 60) Sozialisation kann damit nicht mit Intentionen von außen versehen werden, etwa mit bildungstheoretischen Ansprüchen oder mit moralischen Forderungen, weil derjenige, der sozialisiert wird, d.h. genauer der, der sich selbst sozialisiert, immer auch zu anderen Konstruktionen gelangen könnte. Als provokative Forderung an das Erziehungssystem ergibt sich damit die Frage, wie sich das Erziehungssystem überhaupt auf den Umstand einstellt, dass es nicht gesetzmäßig Effekte hervorbringen kann, die es gerne hervorbringen möchte. Luhmann sieht darin ein strukturelles Defizit des Erziehungssystems, das dadurch entsteht, dass man offensichtlich etwas können will, was man nicht können kann. Sollte ein Erziehungsanspruch dennoch gelingen, so muss er wohl eher als zufällig erscheinen.
Auch hier erscheint wieder die paradoxe Konstitution eines Systems, das sich „auf diesen Widerspruch einstellt und Orientierungen erzeugt, die den Widerspruch verschwinden lassen. Man produziert dann Sätze über das Wesen des Menschen oder über die Idee der Freiheit oder über die Natur von Organisationen im Bereich des Erziehungswesens. Diese Sätze bleiben aber Bestandteile einer selbstproduzierenden Semantik. Sie dienen dem Vollzug der Selbstbeobachtung bzw. Selbstbeschreibung des Systems.“ (Ebd., 62)
Wir bemerken, dass das operative Schema Luhmanns eigentlich immer gleich bleibt. Aus seiner Unterstellung von autopoietischen Systemen folgt die Ableitung  einer Paradoxie, die zugleich als Wirkungsmechanismus der Unterscheidungsvariablen des Systems selbst gedeutet wird. Ist dies einmal akzeptiert, dann wird die Unterscheidungsmaschinerie in Gang gesetzt, und das Sprachspiel kann beginnen. Die Entsubjektivierung führt dazu, dass für die Sozialisation keine Subjekte mehr verantwortlich gemacht werden, sondern dass „Differenzen sozialisieren“ (ebd., 67), was für Luhmann stärker strukturelle Defizite zutage zu fördern verspricht als herkömmliche Sichtweisen. Die Theorie der sozialen Systeme löst die scheinbar festen Individuen, ihre Rollen oder sonstige feste Teile auf und ersetzt sie durch Ereignisse, die als Kommunikationen notwendig instabil, vergänglich, zeitbedingt angesehen werden und als Unterscheidungen markiert sind. Die Kette der Unterscheidungen erbringt dann so etwas wie eine dynamische Stabilität, die ein Beobachter wahrnehmen kann. Auf der Basis dieser dynami­schen Stabilität ergibt sich die strukturelle Stabilität bzw. das strukturelle Defizit, das der Beobachter an den Unterscheidungen selbst abliest. Eigentlich ist dies kein Ablesen, sondern eine Konstruktion, die sich allerdings eines empirischen Gehalts vergewissern soll. In diesen empirisch gehaltvollen Aussagen kommt Luhmann dann auf den Boden der Tatsachen unserer Gesellschaft zurück. Sein Konzept sucht nach jenen Unterscheidungsmerkmalen, die bestimmend sein sollen. So erscheint für Luhmann/Schorr (1979) die Selektion als zentrales Unterscheidungsmittel, um das Erziehungssystem zu analysieren und zu begreifen.
Selektion kann als ein Mechanismus des Erziehungssystems gewiss nicht bestritten werden. Gleichwohl bleibt es uneinsichtig, inwieweit darin nun der eine Blickwinkel festgehalten werden soll, der für Unterscheidungen maßgeblich wird.
Fasst man die Leistungen von Beobachtungen und Unterscheidungen hingegen zirkulär zusammen, d.h. sieht man sie unter Spannungsbedingungen, wie ich sie für die Kränkungen der Beobachtung herauszuarbeiten versuche, dann eröffnen sich nicht nur ein unerschöpflicher Beobachtungsvorrat, sondern auch unendliche Möglichkeiten von Unterscheidungen. Die Begrenzung dieser Unendlichkeit erfolgt durch Verständigungsgemeinschaften, die solchen Beobachtungen und Unterscheidungen Sinn und Geltung zuschreiben. Da die psychisch widersprüchliche Intersubjektivität solcher Gemeinschaften von Luhmann aber aus dem kom­munikativen Prozess a priori ausgeschlossen wurde, kann er auch nicht auf die Idee kommen, die Mechanismen solcher Verständigungsgemeinschaften zu untersuchen, um hierin Regeln für die Ausschließung, Begrenzung oder Entwicklung von Unterscheidungen bzw. Beobachtungen zu finden. Luhmann und Schorr definieren ihre Unterscheidungen durch negative Abgrenzung, indem sie z.B. normative Entscheidungen von Verständigungsgemeinschaften in Hinblick auf die Minderung von Herrschaft, die Steigerung von Möglichkeiten zur Reflexion oder die Konsensbildung von Verständigungsgemeinschaften selbst ablehnen. Hierin erscheint dann doch eine Autorität, die im allgemeinen autopoietischen Modell längst überwunden hätte sein sollen. Wenn dabei der Ideologie ein geringeres Gewicht eingeräumt werden soll, als es an traditionellen Debatten etwa des Marxismus oder der Psychoanalyse abzulesen ist, so ist dies bereits ein Konstrukt, das sich allenfalls dadurch verteidigen kann, dass es unangemessene Reflexionshindernisse beseitigen will, das aber letztlich daran scheitert, dass solche Hindernisse, die sich als Interessen, Widersprüche, Wertungen ausdrücken, eben immer auch vorgängig intersubjektiv Sinn und Geltung von Verständigungsgemeinschaften bestimmen. Insoweit wird Selektion nur beschrieben, aber nicht nach Begründung und Geltung kritisch hinterfragt. Gerade hieran zeigt sich, dass Luhmann im eigentlichen Sinne die Zirkularität von Beobachtungen nicht erfasst hat. Beobachtungen bleiben bei ihm ein Wechselspiel von Beobachtern, die neben- bzw. hintereinander stehen, die aber nicht im widersprüchlichen Span­nungsfeld des Lebens situiert werden. Hier trifft ihn dann der alte Vorwurf, dass diejenigen, die Herrschaft ausschließen, indem sie sie nicht wahrnehmen wollen, mit dazu beitragen, dass Herrschaft verschleiert wird.
Luhmann hat seine Theorie so angelegt, sie so verallgemeinernd etabliert, dass er kaum seine Bevorzugungen für bestimmte Unterscheidungen selbst kontrollieren bzw. kritisch beobachten kann. Dieser Schwachpunkt zeigt mir insbesondere, dass das autopoietische Modell wenig geeignet ist, um soziale Systeme, insbesondere aber ungeeignet ist, um kommunikative Prozesse zu erklären. Beobachten und Unterscheiden erbringt nämlich Erklärungen, auch wenn man versichert, dass diese Erklärungen bloße Konstruktionen sind. Als Konstruktionen jedoch gehen sie in die Zirkel der Argumentation und der Diskurse ein, um sich in Verständigungsgemeinschaften überprüft, bereichert, verändert zu finden und neue Beobachtungen und Unterscheidungen zu erzeugen. Hier entsteht vor allem die Frage, welche Relevanz unterscheidende Sprachspiele für welche Verstän­digungsgemeinschaften haben. Dies ist dann die Stelle, an der sich Luhmann kritische Fragen nach der gesellschaftlichen und erkenntnistheoretischen Relevanz seiner theoretischen Erklärungen gefallen lassen muss. Wenn Luhmann bemerkt, dass man durch die Beobachtung von Latenzen beobachten kann, wie andere Beobachter für sie hinderliche Paradoxien invisibilisieren, d.h. insbesondere ihren binären Code übergehen, dann schlägt diese immer mögliche Kritik zugleich auf seinen eigenen Ansatz zurück. Entscheidend für eine Beobachtertheorie nämlich ist, dass sie ihre Ausschließungsgründe definiert und offenlegt, dass sie nicht in den Status einer generalisierenden Metatheorie verfällt, von der aus nun alles neu, sachlich konstruierbar erscheint, sondern dass sie Konstruktivität selbst in dem Dilemma eigener machtbesetzter Bestimmungen erkennt (vgl. dazu ausführlich Band 2, Kapitel IV.3.3.2). Ich bin mir nicht immer schlüssig, inwieweit Luhmann hier die ganze Breite der ersten Kränkungsbewegung erkannt hat. Er umgeht ebenfalls das Problem der Intersubjektivität. In anderen konstruktivistischen Ansätzen, so behauptet er, wird der andere als ich-gleich operierend erfahren, d.h. als ein alter Ego. Diese z.B. bei von Glasersfeld vorkommende Bestimmung sieht Luhmann nur als ein Resultat, die wie eine Kulturvariante, von Gesellschaftsstrukturen unabhängig scheinende Gegebenheit auftritt. Auch Maturana, so sagt er, umgeht das Problem, indem er sich auf die koordinierende Interaktion zweier Organismen konzentriert, die in einem konsensuellen Bereich miteinander agieren und dabei Sprache hervorbringen. Auch dies erklärt nach Luhmann nicht hinreichend, wie es zu einem Beobachten des Beobachtens kommt und mithin dazu, „dass Beobachter die von ihnen konstruierten Gegenstände als andere Beobachter konstruieren.“ (Luhmann 1993 a, 55)
Luhmanns eigener Vorschlag setzt auf eine reduzierte Kommunikation, die dadurch zustande kommt, dass ein Beobachter in seinem Wahrnehmungsbereich zwischen Mitteilung und Information unterscheidet, um aus dieser Unterscheidung heraus selbst in Gang zu kommen. „Für die Fortsetzung der Kommunikation selbst genügt eine Art ‚Black Box‘-Konzept für das Subjekt und für das Objekt, sofern nur die Unterscheidung funktioniert. Man kann sich als Teilnehmer mit Eigenkonstruktionen behelfen und diese im Laufe der Kom­muni­kationsteilnahme fortschreiben. Man braucht nicht zu wissen, was ‚in‘ dem Subjekt vor sich geht (und kann dies natürlich auch nie wissen), und braucht auch nicht das (in sich unendliche) ‚Wesen‘ der Dinge zu kennen. Es genügen Ausfüllungen, die für die Fortsetzung der Kommunikation notwendig sind. In dem Maße aber, als Kommunikationssysteme im Laufe ihrer eigenen Evolution anspruchsvoller, differenzierter, komplexer werden, stellen sich anspruchsvollere Konzepte für Subjekte und Objekte ein. Dabei lernt man dann schließlich auch, andere als Beobachter zu beobachten (selbst wenn sie im Moment nicht kommunizieren) und schließlich sogar: Zu beobachten, dass andere nicht beobachten, was sie im Beobachten nicht beobachten. Die Gesellschaft ermöglicht schließlich sogar Latenzbeobachtungen.“ (Ebd., 56)
Warum nun aber sollte diese Unterscheidung, die auf der Unterscheidung von Mitteilung und Information basiert, überzeugender als die Setzungen anderer Konstruktivisten sein? Die Antwort ist scheinbar empirischer Natur: Die evolu­tio­näre Durchsetzungskraft der Unterscheidung von Mitteilung und Information hat nach Luhmann sich faktisch erwiesen. Zwar schränkt Luhmann wieder ein, dass so etwas von allem, was ist, behauptet werden kann, für die konstruktivistische Sicht soll es jedoch eine besondere Relevanz dadurch gewinnen, dass es schlicht behauptet wird (vgl. ebd., 56). Dies ist insgesamt wenig einsichtig. Denn diese Unterscheidung stammt von einem Beobachter, der sich Luhmann nennt, der mittels dieser Entscheidung als erkenntnisleitende Kategorie andere Unterschei­dungen markiert und daran sein Spiel von Konstruktionen treibt. Insoweit landet Luhmann in einem Zirkelschluss, den er für das Beobachten insgesamt ja ohnehin als Paradoxie zugesteht. In solche Zirkelschlüsse mag jeder Beobachter geraten. Problematisch hingegen ist die Behauptung empirischer Gültigkeit, die Luhmann unumwunden unterstellt, obwohl er sein Unterscheidungsmodell recht deduktiv auf alle möglichen Beobachtungsvorgänge überträgt und als „re-entry“ behauptet. Würde man diesen Theorievorschlag als einzig relevanten konstruktivistischen Beitrag gelten lassen, dann trägt man alle Folgeprobleme des Positivismus in Form von Black-Box-Modellen, die für Beobachtungen von Subjekt-Objekt-Verhältnissen auszureichen scheinen, in den Konstruktivismus hinein. Hier setzt Luhmann eine Traditionslinie fort, die man als reduzierte Beobachtertheorie auffassen kann und kritisieren sollte. Sie ist insbesondere für kulturalistische Begründungen des Konstruktivismus ungeeignet.
Zusammenfassend zeigt sich insbesondere, dass Luhmann die Rolle der Intersubjektivität unterschätzt. Seine  Übertreibung resultiert darin, dass er nicht nur für die subjektiven Gefühle, die Ambivalenzen und all die Dinge, die nicht in sein binäres Codierungssystem passen, eine Black-Box unterstellt, sondern dass er ohnehin Kommunikation als einen posthumanistischen Anspruch begründet, der die Figur des Menschen im Singular „als Bezeichnung des Trägers und als Garant der Einheit von Erkenntnis“ (ebd., 53) aufgibt, um Erkenntnis auf ein autopoietisches System, das sich selber generiert, zu verteilen. Zwar spielen in diesem System Menschen noch eine Rolle, aber sie fungieren nicht mehr als Subjekte, sondern als Personen. Insoweit bleibt der Begriff des Subjekts für Luhmann selbst widersprüchlich, er ersetzt ihn einerseits durch Selbstreferenz, um ihn dann andererseits aber doch noch vage zu gebrauchen, wenn er sich mit scheinbar traditionellen Sichtweisen auseinandersetzt.
Die von mir in der dritten Kränkungsbewegung noch hervorzuhebende Unbewusstheit, die dadurch entsteht, dass Subjekte ein ihnen nicht Bewusstes durch die Vermittlung mit anderen Subjekten an sich erfahren, d.h. beobachten können, erfasst Luhmann unter der Kategorie der Latenzbedingungen. Hier gesteht er immerhin auch zu, dass eine Dekonstruktionsarbeit, wie wir sie z.B. bei Derrida finden, erkennen muss, dass jede Unterscheidung und jeder Kontext einer Bezeichnung und damit auch Beobachtung ergänzungsfähig ist. Wenn Luhmann dann allerdings unterstellt, dass man darauf eine Paradoxie von sich selbst negierenden Unterscheidungen provoziert (vgl. Luhmann 1992 a, 94), dann verkompliziert er so das Problem. Die Sicht von Derrida zielt auf eine Beobachtung, die Unterscheidung im Fluss des Spannungsverhältnisses von begrifflichen Bestimmungen versucht, und die darin als relativ offenes Modell nicht die Konstruktion einer autopoietischen Geschlossenheit benötigt. Derrida zielt in seiner Dekonstruktion auf die Sprache als ein allgemeines Medium menschlicher Verständigung und menschlicher Verständigungsgemeinschaften, um so die Dialektik von Eins und Auch auf die Spitze zu treiben. Interessant ist nun, dass Luhmann an dieser Stelle auch einen Verweis auf Hegel gibt, den er neu unter dem Blickwinkel seines autopoietischen Modells zu interpretieren empfiehlt. In der Tat hat uns Hegel viele Anregungen im Blick auf Unterscheiden und Bezeichnen für eine Beobachtertheorie hinterlassen. Dies geht so weit, dass wir einige Annahmen Hegels sogar deutlich gegen Luhmann einsetzen können. Denn bei Luhmann wird ganz anders als bei Hegel die subjektive Reflexion aus der Zurechnung zu sinnlicher Gewissheit, Wahrnehmung und Verstand und Vernunft herausgelöst, d.h. als psychisches System abgetrennt von einer Kommunikation, die als autopoietisches Modell Unterscheidungen und Bezeichnungen hervorbringt, „um systeminterne Anschlussfähigkeiten zu organisieren. Das System kann reflektieren, dass es durch diese Operationsweise eine Differenz zur Umwelt erzeugt; dass es – wenn man so will –  Spuren hinterlässt. Aber um dies zu reflektieren, braucht es nicht aus sich herauszutreten. Es kann mit der Operation des re-entry die Unterscheidung von System und Umwelt in das System wieder einführen und sie als einen der für das System wichtigen Schematismen benutzen. Es unterscheidet dann Selbstreferenz und Fremdreferenz.“ (Ebd., 528 f.)
Damit wird der Gesichtspunkt von der Dialektik der Subjekte auf die Selbstbewegung konstruktiv geronnener Beobachtungsinvarianzen, die man Unterscheidungen nennt, gelenkt, um so funktionale Differenzierung in einer Art stabilem Substrat identifizieren zu können. Es ist eigentlich ein empirischer Anspruch, der daher die Trennung von Psyche und Kommunikation beeinflusst, um sich eine letzte Allgemeinheit einer Selbstbeschäftigung zu sichern. Die Universität als Platz einer Selbstbeschäftigungsmaßnahme produziert die Idee einer Autopoiesis von sozialen Systemen, sie verallgemeinert gleichsam ihre elitäre Stellung für das Soziale schlechthin. Demgegenüber ist die Hegelsche Deutung bedeutend vorsichtiger. Sie lässt das Subjekt als Subjekt, um es als Subjekt im intersubjektiven Kampf um Anerkennung zugleich als Beobachter und Pro­duzenten von Vorstellungen aufzuweisen, die Psychisches und Kommunikatives immer miteinander vermitteln müssen. Insbesondere der Begriff der Vermitteltheit, der mir hier zentral erscheint, fehlt bei Luhmann und wird durch die binäre Schematisierung, die er für alle Unterscheidungen vorschlägt, in ein mechanisti­sches Weltbild zurückgeführt.16

g) Konstruktivismus als illusionäre Eindeutigkeit
Wenn Luhmann auf den bisher skizzierten Grundlagen den Konstruktivismus für sich reklamiert, so ist dies sehr kritisch einzuschätzen. Seine Setzungen können die Notwendigkeit einer Übertragung des Autopoiesismodells auf soziale Systeme für mich nicht überzeugend begründen. Zumal ist die Setzung seiner Unterscheidungen ebenfalls nur eine Konstruktion neben vielen anderen. Allenfalls aus ihrer pragmatischen Anwendbarkeit heraus – und den Verständigungsgemeinschaften, die sich auf sie einlassen – ließe sich aufweisen, dass es Sinn macht, mit dieser Kunstwelt gegen die Unendlichkeit des Bewusstseins der Menschen zu streiten. Dann aber sollte man zunächst bedenken, dass dieser Streit keinesfalls neu ist. Alle bisherigen wissenschaftlichen Versuche der Bestimmung von Mensch und Umwelt, der Deutung von Beobachtungen und Kommunikation waren immer auch darauf gerichtet, neben dem individuellen Bewusstsein das jeweils allgemeine, neben den vielen Auchs das Eins einer Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit sich zu konstruieren, und die Eigenschaften des Beobachters hierauf zu standardisieren. Luhmanns Problemstellung ist also keineswegs neu. Im Gegenteil, sie kann als eine Übertreibung bisheriger Lösungsversuche aufgefasst werden, wenn er sich darum bemüht, Kommunikation als eine entsubjektivierte Maschinerie zu betrachten, die aus allen zirkulären Beziehungen zu bisher vertrauten Nachbarfeldern wie Bewusstsein und Wahrnehmung herausgetrennt wird, um sich als sich selbst bewegende Apparatur zu verstehen. Immer wieder die Frage: Welchen Vorteil soll eine solche Sichtweise erbringen?
Luhmann will letzten Endes, wenn ich es recht sehe, sich wissenschaftliche Klarheit an Stellen erhalten, wo sie durch die unerschöpflichen und widersprüchlichen Beobachtungsvorräte und Modi der Beobachtung der Individuen in Frage steht. Er muss daher die Individuen in der Kommunikation neutralisieren, die Kommuni­kation entmenschlichen, um sie zu einer abstrakten Apparatur zu verdinglichen, um sich hierin die Unterscheidungen zu gewinnen, die begrifflich genauer zu sein scheinen und mit denen man die funktionellen Differenzierungen moderner Gesellschaften adäquat beschreiben könnte. Nur so lässt sich die widersprüchliche Komplexität auf ein Schema von Codierung reduzieren, das wissenschaftlich scharf handhabbar erscheint. So werden Bewusstsein und Geist verabschiedet, auch ein Geist, wie er für das Denken von Bateson (1985, 1990) beispielsweise noch maßgebend war, der sich jeweils im Bewusstsein einzelner Menschen verkörpert, um lebenspraktische Geltung zu gewinnen; und es erscheint die aller Imagination, aller Gefühle und Subjektivismen entkleidete Kommunikation, die in einer kognitiven Sprache, in einer Kunstwelt der Konstruktion, in Luhmannscher Abstraktheit ihre unterscheidenden Regularien findet. Der Widerspruch dieser Denkweise liegt auf der Hand: Luhmann selbst ist ein Bewusstsein, Luhmanns Unterscheidungen als bewusstseinsmäßige sind willkürlich wie die eines Bewusst­seins, seine Bevorzugung eines reduktionistischen Modells autopoietischer Struktur für soziale Systeme ist eine bewusste Setzung, die nicht dadurch als Bewusstseinssetzung hinfällig wird, dass sie die Kommunikation eben von diesem Bewusstsein abtrennen will. Luhmann als Autor führt so schon die Maschinerie seines technisch funktionalen Apparates ad absurdum.
Mehr noch wird es für den Leser schwierig, der diese künstliche Konstruktionswelt auf praktische Zusammenhänge anwenden will. Wenn Luhmann beteuert, dass er Begriffe wie Subjekt und Objekt durch die Unterscheidung von Operation und Struktur ersetzen will (Luhmann 1992 a, 78), wenn ihm die Unterscheidung von Theorie und Praxis zu nebulös ist, weil hierin auch nur Unterscheidungen sichtbar werden, die sich von anderen Unterscheidungen unterscheiden lassen, so dass man gleich und besser eine konstruktivistische Unterscheidungstheorie etabliert, dann überzieht er seinen Ansatz und koppelt ihn zugleich künstlich von der Geschichte der Sozialwissenschaften ab. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass Luhmann mit gewaltigem Publikationsaufwand seine abstrakte Neuschreibung der Sozialgeschichte versucht und den Leser oft in Verwirrung bringt, was denn nun das Neuartige an seiner Ansicht sein mag.

h) Kritische Beobachter sind normative Beobachter
Besonders die Anweisung, den Beobachter zu beobachten, gilt bei Luhmann als Absetzung von transzendentaltheoretischen Annahmen. Der bei ihm geübte Verzicht auf die Unterscheidung von empirisch und transzendental mündet in die Gegenbehauptung, „dass alles Beobachten durch einen Beobachter, also als System durchgeführt werden muss und deshalb beobachtbar ist.“ (Ebd., 76) Damit nun könnte aber auch der transzendentaltheoretische oder empirische Beobachter von einem dritten Beobachter beobachtet werden, ohne dass dergestalt etwas gegen transzendentaltheoretische oder empirische Argumente, die ein solcher Beobachter äußern mag, geschlussfolgert werden kann. Die formale Allgemeinheit des Beobachtens bleibt so gesehen trivial. Sie unterstellt aber immerhin eine empirische Faktizität, die dann doch irgendwie auf das verpönte Bewusstsein verweist, das in der Kommunikation ausgeschlossen gedacht wird. Es ist eigenartig an Luhmann, dass er einerseits seinen Reduktionismus rigoros durchzieht, ihn andererseits aber in den Gefahren seiner Beschränkung durchaus an manchen Stellen zu problematisieren versteht. So bemerkt er zutreffend, dass ein Beobachter ständig die Positionen wechseln kann, was insbesondere durch die Kybernetik zweiter Ordnung problematisiert wurde. Aber zugleich verstellt sich Luhmann auch aufgrund seines reduktionistischen Vorgehens die Probleme der Kybernetik zweiter Ordnung, weil er keine Beobachterbereiche, z.B. im Sinne der Beobachtung im objektivierenden Sinne, der zwischenmenschlichen Tätigkeiten, der Welt bzw. Produktion von Welt unterscheidet, sondern alle Beobachtung letztlich in ein bloß funktional gedachtes strukturiertes System, darin in ein abstraktes Kontinuum zusammenfallen lässt. Zwar ist es durchaus richtig, dass alle Beobachtung eine Strukturierung und ausgefeilter ein Strukturmodell (ggf. eine Systemtheorie) braucht, damit eine Grenze, über die es etwas beobachten und sich selbst unterscheiden kann, aber dies erzwingt ja nicht notwendigerweise eine Entsubjektivierung von Kommunikation, die Luhmann zugleich voraussetzt. Zudem ist Luhmanns Systembegriff sehr technisch ausgerichtet und orientiert sich vorrangig an der ersten Kränkungsbewegung, so dass er die Beziehungswirklichkeit von Menschen (von widersprüchlichen psychischen Systemen) überwiegend ignoriert. Luhmanns Beobachtertheorie verharrt damit auf einer Logik bloß funktionaler Ordnung, für die sie durchaus plausible Einzelargumente aufzuweisen vermag, deren technisches Kalkül jedoch andererseits problematisch bleibt. So behauptet er von der Unterscheidung, dass sie eine Markierung einer Grenze ist, aus der heraus zwei Seiten entstehen. Wenn wir nun einen Beobachter voraussetzen, so entsteht die Frage, warum gerade diese Unterscheidung und keine andere gewählt wurde. Dann entsteht aber auch die Frage, inwieweit eine Beobachtung als Unterscheidung ihrerseits auf einer Unterscheidung fußt. Eine erste Unterscheidung, so schlussfolgert Luhmann, kann nur operativ eingeführt, nicht aber ihrerseits beobachtet bzw. unterschieden werden (vgl. ebd., 80). Damit ist Unterscheidung ein vorgängiges Konstrukt, das der autopoietischen Konstruktion des Gesamtmodells zugrunde liegt. Der Faktor Zeit erscheint dann als ein Schema, mit dem Unterscheidungen in einem Kontinuum beobachtbar werden. Bezeichnungen dienen in der Charakterisierung von Unterscheidungen dazu, die Anschlussfähigkeit eines Systems bzw. in einem System festzustellen. Daraus folgt, dass Beobachtung immer die Einheit der zwei Komponenten Unterscheiden und Bezeichnen sein muss (ebd., 81). Einmal in Gang gekommen reproduziert das System bestimmte Unterscheidungen und baut eigensinnig Komplexität auf, die „dadurch in immer stärkerem Maße unwahrscheinlich, irritierbar, störbar, enttäuschbar wird. Aber wenn es gelingt, die Autopoiesis unter solchen Bedingungen struktureller Komplexität trotzdem fortzusetzen, hat das System darin einen internen Anhaltspunkt dafür, dass es ‚richtig liegt‘, obwohl es nicht wissen kann, wo und wie, da es niemals unabhängig vom eigenen Umweltentwurf (Fremdreferenz) wird feststellen können, was in der Umwelt ‚an sich‘ der Fall ist.“ (Ebd., 317)
Der Beobachter wird mithin durch die Systemgrenzen definiert, die in einem System beobachtbar sind. Er ist, mit anderen Worten, in die Maschinerie der Kommunikation eingebunden, und wird damit für einen funktionalen Beobachter dieser Maschinerie, wie er durch Luhmann repräsentiert wird, in wahr oder unwahr erscheinenden Unterscheidungen beobachtbar. Hier schließt sich der Zirkel der Argumentation, denn Luhmanns Konstruktion ist nicht mehr und nicht weniger als das Selbstkonstrukt eines Bewusstseins, das sich als Geist über andere erheben und zu antigeisthaften Konstruktionen einer funktionalen Neutralisierung von Kommunikation gelangen will. Es ist damit ein logisches Sprachspiel, das das autopoietische Konzept Maturanas radikalisiert und auf soziale Systeme überträgt, damit zu einer Neuschreibung der gesamten Sozialwissenschaften anregt.
Sehr oft bemüht Luhmann auf dieser Grundlage einen Argumentationsgang, der so allgemein ist, dass er alle Kritik im Nebel von Verallgemeinerungen erscheinen lässt. So schreibt er z.B., dass die Wissenschaft sich der Gesellschaft gar nicht anzupassen braucht, weil sie ihr ohnehin schon angepasst ist, selbst dann, wenn sie abstrahierend, kritisierend, negierend verfährt. Denn, so seine Argumentation: Sie benutzt Sprache, Schrift, Konventionen, moralische Sequenzen, sie ist eingebunden in die Kommunikation, in der alles, was gesagt wird, abhängig ist von schon gesagtem oder später zu sagendem (vgl. ebd., 358).
Dermaßen begründet vernachlässigt die Verallgemeinerung eine mögliche Präzisierung der Interessenzusammenhänge von Wissenschaft und Gesellschaft, sie ebnet alle möglichen Widersprüchlichkeiten ein, indem sie sich auf einen Beobachtungsstandpunkt stellt, der sich auf eine höchst abstrakte Position begibt. Wenn man damit Luhmann ein affirmatives oder technisches Erkenntnisinteresse vorwirft, so mag er sich sogleich missverstanden fühlen, weil sein Blickwinkel doch bereits alle Positionen eingeschlossen hat. Genau dies aber ist sein Problem. Er bietet überhaupt eine Wissenschaftstheorie an, eine Metabiologie der Unterscheidungen, die so allgemein ist, dass sie schon wieder sinnlos wird. Im Gegensatz dazu stehen dann allerdings seine inhaltlichen Ausführungen zu funktionellen Ausdifferenzierungen der Gesellschaft, die klare und eindeutig reduzierte Standorte beziehen und einen durch und durch normativen Beobachter verraten, dessen Normen wie allerdings erst von außen enttarnen müssen.
In Abgrenzung von Luhmann setze ich sehr viel bescheidener den Ort konstruktivistischen Beobachtens an: Beobachten in der Moderne – oder wenn man so will Postmoderne – ist ein gekränkter Vorgang, der sich bereits durch die sprachlichen Setzungen relativiert weiß, wenn er nach eindeutigen Aussagen greift, der sich selbst nicht als ausschließlich behaupten kann, weil er Anerkennung nur im anderen und über andere findet, der sich auch nicht nur bewusst situieren kann, sondern in mehrfacher Weise unbewusst verstehen lernen muss, wie es die dritte Kränkungsbewegung weiter unten noch verdeutlichen soll. Solchermaßen gekränkt wird Beobachtung nicht zu einer unmöglichen Aufgabe, wohl aber zu einer Aufgabe, die den Beobachter drängt, den Fokus seiner Beobachtungen mehr als vorgängigen Faktor der Gewinnung von Erkenntnissen zu betrachten. Darin nun mag die Position von Luhmann ein möglicher Beobachterstandpunkt sein, ebenso wie Habermas einen möglichen anderen Beobachterstandpunkt darstellt. Keine Konstruktion zählt mehr für ein Ganzes, keine Konstruktion kann durch eine Vorgängigkeit von Unterscheidungen die Zirkularität des Beobachtens selbst determinieren oder konditionieren. Dieser Verlust aber ist nicht zwangsläufig ein Verlust von Verständigung, sondern kann, eben weil ein jeder Beobachter ein eigenes Beobachten aufweist, zu einem Zusammenschluss von Beobachtungen führen, d.h. er schließt nicht notwendig Verständigung oder eine Verständigungsgemeinschaft aus. Er schließt allerdings die überhöhte Annahme einer Verständigungsgemeinschaft aus, die gleichsam nach dem Beobachtungsstandpunkt eines unabhängigen Dritten formuliert wäre, sich also in einem gottähnlichen Gebilde zur Klarheit kommen müsste, die für alle gleichermaßen Sinn und Geltung harmonisiert und idealisiert. Beobachtung ist bescheidener und sicherlich auch widersprüchlicher, weil sie eben nicht in der Domäne einer Logik bloßer Beobachtung ohne widersprüchliche Beobachter, eines Kognitivismus und einer bloß inhaltlichen Diskussion verharren kann, weil sie nicht bloß in binären Codierungen sich verliert, sondern in Widersprüchlichkeiten von Trieb, Leidenschaft, Gegensätzlichkeit den Spannungen menschlicher Lebensweisen und Vorstellun­gen ausgesetzt ist. Im Blick auf diese Ausgangslage will ich einen Konstruk­tivismus fordern, der viel stärker auf ein kritisches Erkenntnisinteresse setzt, um in den Ausschlussgründen des funktionalen Systems zugleich Selbsttäuschungen dieses Systems zu sehen oder Machtaspekte zu identifizieren, wie es Foucault versucht hat. Auch solche Kritik erleidet den gleichen Referenzverlust, den die Moderne in den Kränkungsbewegungen überhaupt erfahren hat. Hier wird man Luhmann keineswegs bestreiten können, dass die Wissenschaft nicht mehr in der Lage ist, die Welt zugleich für alle Menschen zu definieren. Aber Referenzverlust ist nicht mit vollständigen subjektiven Erfahrungs- oder Sinnverlust gleichzusetzen, wenn man die problematische Spaltung vom psychischen und kommunikativen System wieder zurücknimmt. Denn erst durch diese Spaltung erzeugt Luhmann diesen Verlust, der darin wurzelt, dass er das soziale System entsubjektiviert. Im Gegensatz dazu halte ich es für erforderlich, dass der Konstruk­tivismus seine Beobachtertheorien sowohl subjektiviert als auch gesellschaftlich reflektiert, wobei der Willkür subjektivistischer Unendlichkeit immer schon dadurch begegnet wird, dass überhaupt nach bestimmten normativen Regeln in Verständigungsgemeinschaften beobachtet wird. Im Sinne einer Begründung des Konstruktivismus erhält das Referenzproblem zugleich mehrere Perspektiven, die ich in meiner Beobachtertheorie unterscheide. Auch hier ist zu bedenken, dass eine solche Unterscheidung sich weiter spezifizieren, sich auch durchaus anders gestalten ließe. Kausales und systemisch orientiertes Beobachten ermöglichen nämlich gänzlich unterschiedliche Beobachtungsleistungen, die den Referenzverlust im Sinne eines eindeutigen Sinns von Welt durch den Referenzgewinn einer relativ eindeutigen Bezugnahme auf bestimmte Beobachterbereiche relativieren. Diese Relativierung betrifft nicht nur die wissenschaftliche Erfahrung, sondern jede Form von Erfahrung, auch Alltagserfahrung. Im Sinne der Kränkungsbewegungen will ich folgender Aussage Luhmanns deshalb direkt widersprechen: „Das wissenschaftliche Wissen ist weniger sicher als das Alltagswissen. In der Interpretation von Wahrnehmungen des Alltags entstehen normalerweise keine Zweifel. Eine Rose, die man sieht, ist eine Rose, oder jedenfalls doch eine Blume. Ganz anders die Interpretation der Ergebnisse von Experimenten oder sonstigen wissenschaftlichen 'Daten'.“ (Luhmann 1992 a, 325) Mit dem gleichen Beispiel hat Hegel in seiner „Phänomenologie des Geistes“ das Wissen über die Rose überhaupt in Frage gestellt, denn wenn man die Rose sieht, so kann man sie in ihre vielen Eins und Auchs auflösen, sei es als Knospe, sei es als Blüte, sei es als ein Symbol des Liebenden oder als ein Symbol der Vergänglichkeit. Wo sollte das Alltagswissen sicherer sein als das wissenschaftliche Wissen? Wieso sollte der Alltagsbeobachter auf einmal nach anderen Sichtweisen höhere Eindeutigkeit haben, als jener Beobachter, der sich einem reflektierten Verständnis von Reduktion und Kriterien des Reduzierens gegenübersieht? Nicht Wissenschaft und Alltag sind die Gegensätze, die für den Beobachter problematisch sind, sondern die Erkenntnis, dass Beobachtung immer mit Unsicherheitsfaktoren verbunden ist. Ebenso wenig wie die Wissenschaft nach Falsifikation strebt, um einen Gegenbeweis gegen ihre Behauptungen zu finden, strebt sie nach einer Bewältigung der Komplexitätszunahme mit einer erhöhten Unsicherheit, wie es Luhmann behauptet (ebd., 325). Im Gegenteil, Wissenschaft reduziert überall dort, wo sie praktisch angewendet wird, sie versucht der meist doch nur erahnten Komplexität durch Vereinfachung zu entgehen, was z.B. durch die durch Wissenschaft und Technik mit erzeugten ökologischen Folgelasten in der Gegenwart besonders dokumentiert wird. Aber Luhmann bleibt gegenüber der Wissenschaftspraxis im Kapitalismus überhaupt naiv, wenn er meint, dass bereits die Anerkennung seines autopoietischen Modells eine Art Sicherheit für Transparenz und Gleichheit in diesem System bieten könnte: „Das System beruht auf der Rekursivität des Beobachtens und gewinnt dadurch eine Struktur, die ohne privilegierte Positionen, ohne uneinsichtige Quellen, ohne fundierende Asymmetrien, ohne letztgewisse Gründe und ohne organisierende Zentren auskommt. All das wird durch Rekursivität ersetzt mit der Folge, dass das System als ein selbsttragendes Netzwerk der Reproduktion seiner Elemente durch seine Elemente fungieren kann. Es benötigt nichts weiter als das, was er zur Fortsetzung seiner Autopoiesis unter der Bedingung hoher struktureller Komplexität und unkontrollierbarer Außenunterstützung benötigt. Und es verträgt grade deshalb keine Hierarchie, weil es nicht riskieren kann, über seine Spitze mit der Umwelt in Kontakt zu treten und dadurch gleichsam konzentrierte Ja/Nein-Effekte auszulösen.“ (Ebd., 320) Diese illusionäre Welt ist eine entmenschlichte, eine entsubjektivierte und gleichsam maschinelle Pforte in ein neues Zeitalter, das sich des psychischen Ballastes entledigt hat. Denn wie anders sollte man sich eine solche Welt vorstellen können? Da Luhmann aber andererseits die Wechselwirkung zwischen kommunikativem und psychischem System nicht in Frage stellen kann, bleibt dieses Weltbild wohl eher ein affirmativer Versuch, über die Widersprüchlichkeit des Beobachtens hinwegzutäuschen. Geschickt führt Luhmann daher den Begriff der Limitationalität in sein Konstrukt ein, um auszudrücken, dass die Kontingenz unendlicher Beobachtungen ein Ende findet, wenn man die Erträge von Wissenschaft für die Gesellschaft sich erstellen will (vgl. ebd., 391 ff.). Solche Begrenzungen erhalten die Anschlussfähigkeit eines Systems, sie bilden die Präferenzen aus, auch wenn Luhmann damit nicht zu einem Dogmatismus gelangen will. Hier hilft ihm ein Kunstgriff weiter: „Wir gehen davon aus, dass gerade das Einführen von Limitationalität eine unendliche Welt konstituiert, die nichts ausschließt, sondern sich mit jedem Zugewinn von Themen der Kommunikation entsprechend erweitert.“ (Ebd., 394) Worin aber soll solcher Zugewinn bestehen?17 Er liegt im Zugewinn von Unterscheidungen, die ihrerseits Grenzen markieren, was wiederum als Unterscheidung eine Reflexion auf Unterscheidungen ermöglicht. So klappert die Maschine munter vor sich hin. Da solcher Limitationalität ein psychisches Korrelat fehlt, muss Luhmann auch nicht diskutieren, inwieweit sich daraus Macht, Ausschlussgründe, Karriereplanung, die großen und kleinen Kämpfe des Alltags von menschlichen Subjekten ergeben. An dieser Stelle wird deutlich, wie wirklichkeitsfremd seine gesamte Theorie ist. Die entsubjektivierte Theorie hat sich vom Lebensprozess der Menschen entfernt, was für mich auch erklärt, weshalb gerade Luhmann im Bereich des Konstruktivismus so wenig für praktische Anwendungen rezipiert werden kann. So bleibt sein Ansatz ein Mythos von feiner begrifflicher Arbeit, die man im Grunde kaum noch versteht.

Fußnoten


1 Vgl. zur kritischen Diskussion auch Giegel/Schimanck (2003), Haferkamp/Schmidt (1987), Merz/Wagner (2000).

2 Eine Kritik aus konstruktivistischer Sicht unternimmt auch Schmidt (1994, 65 ff.).

3 Ausgehend von dem Buch „Soziale Systeme“ hat Luhmann mehrere große Analysen entwickelt. Besonders wichtig sind z.B.: „Die Wirtschaft der Gesellschaft“ (1988 b), „Die Wissenschaft der Gesellschaft“ (1992 a), „Das Recht der Gesellschaft“ (1993 b), „Die Kunst der Gesellschaft“ (1996). Ich beschränke meine Analyse in diesem Kontext auf ausgewählte Abschnitte aus diesen und weiteren Arbeiten, wobei „Die Wissenschaft der Gesellschaft“ entsprechend dem Interesse meiner Arbeit im Vordergrund steht.

4„Alle Begriffe, mit denen Kommunikation beschrieben wird, müssen daher aus jeder psychischen Systemreferenz herausgelöst und lediglich auf den selbstreferentiellen Prozess der Erzeugung von Kommunikation durch Kommunikation bezogen werden.“ (Ebd., 24)

5 Zur basalen, prozessualen und zur Selbstreferenz als Systemreferenz vgl. Luhmann (1984). In seinen Beschreibungen wird die Entsubjektivierung von Referenz in Systemen überaus deutlich. Ich verfolge diese Kritik aber nicht an den Darlegungen in „Soziale Systeme“, sondern nachfolgend besonders an der Trennung von psychischen Systemen und Kommunikation.

6 Eine solche nicht-dualistische Erkenntniskritik versuchte insbesondere John Dewey in seiner Kulturtheorie, aber auch seinem Verständnis von Experience zu entwickeln.

7 Um solche Möglichkeiten geht es mir in dieser Abgrenzung allerdings nicht. Ich will vielmehr versuchen, den Ansatz von Luhmann kritisch von meinen eigenen Bemühungen abzuheben, die zwar auch nicht den Gedanken der Einheit ganz abweisen können, ihn aber doch zugleich immer in die Spannung des Auchs zurückzunehmen bestrebt sind, um eine Beobachtung der Beobachtung nicht einseitig zu situieren. Dies wird im Verlauf der Argumentation über die Kapitel hinweg hinreichend deutlich werden können.

8 Die Codewerte dienen nach Luhmann „als universale und zugleich spezifische binäre Schematismen, die dazu beitragen, ein Funktionssystem zu identifizieren, zugleich aber sowohl selbstreferentiell als auch fremdreferentiell, sowohl auf das System als auch auf seine Umwelt anwendbar sind. Auch in diesem Fall bleibt die Einheit des Code eine nicht operationsfähige Imagination. Die Anwendung des Code auf sich selbst führt in Paradoxien. Die Welt kann, von welchem Code immer man ausgeht, nur paradox identifiziert werden, das heißt: nur als eine logisch unendliche Informationslast.“ (Luhmann 1992 b, 29)

9 Diese methodologische Rekonstruktion ist für alle konstruktivistischen Ansätze - auch den hier vertretenen - relevant. Sie suchen alle mittels symbolischer Vereinheitlichung/Auslassungen Bestimmungssphären und Beobachtungsorte, die sie allerdings als relativ zu anderen reflektieren und ausweisen können.

10 Vgl. zur Beobachtung erster und zweiter Ordnung weiterführend Band 2, Kapitel III.1.6.

11 Der Begriff Lebensform ist dabei auch nur ein Konstrukt, um allgemein auszudrücken, dass es eine Vielfalt des Lebendigen, des Subjektiven unter der Perspektive eines Beobachters gibt, der sich dafür bestimmte Formen festhalten will, ohne dies je unwandelbar und absolut eindeutig zu können.

12 Also: welcher? Nur eine konkrete, lebensweltliche Erforschung dieser Blicke der Beobachter und ihrer jeweiligen Verständigung wird uns Auskunft über den Gang der von uns nachkonstruierten Geschichte oder über die Erfindung unserer eigenen Geschichten geben können. Vgl. dazu weiterführend insbesondere Band 2, Kapitel IV.

13 Auf die Technologiekritik von Habermas reagiert Luhmann mit dem Gegenangriff, dass dieser ja nur auf Herrschaft abziele, er hingegen viel tiefer auf eine Kritik an all jenen Ansätzen zielt, die das Wahre, Vernünftige und Richtige für sich beanspruchen (vgl. Luhmann 1992 a, 102). Hier verfehlt Luhmann die Weite des Ansatzes von Habermas allerdings deutlich.

14 Vgl. dazu auch die konstruktivistischen Mindestanforderungen an ein Lebensweltmodell in Band 2, Kapitel IV.4.1 und die daran anschließende konstruktivistische Diskurstheorie.

15 Die Künstlichkeit des autopoietischen Konstrukts führt mitunter zu bizarren Bestimmungen. „Wörter dienen der Autopoiesis von Gesellschaft, Begriffe dienen der Autopoiesis von Wissenschaft.“ (Ebd., 387) Bizarr ist dies, weil Luhmann Begriffe als Ausdruck einer Reduktion einer selbst geschaffenen Komplexität sieht, wohingegen Worte eher die Eigenkomplexität des Gesellschaftssystems reduzieren. Wie aber soll man sich bei solchen Teilklassendefinitionen noch zurechtfinden? Ohne Auseinandersetzung mit psychologischen Theorien über die Begriffsbildung, wie sie etwa von Piaget vorgelegt wurde, verbleibt Luhmann hier in einem Abstraktionsraum, der zugleich wie ein neuer Kunstraum schimmert, und in dieser schimmernden Welt gibt er nur den Hinweis, dass Wörter in der alltäglichen Kommunikation stärker auf den Kontext angewiesen sind als Begriffe. Nun könnte man aber auch umgekehrt argumentieren, dass Begriffe als Begriffene eben gerade jenen Kontext benötigen, der von demjenigen hergestellt werden muss, der das Wort tatsächlich begriffen hat. Die sich damit andeutenden Verstrickungen von Unterscheidungen machen es nicht nur schwer, die Luhmannschen Unterscheidungen überhaupt nachzuvollziehen; sie erzeugen vielmehr auch den Verdacht, dass hier mit formalen Mitteln Zirkularitäten, Widersprüchlichkeiten aufgelöst werden sollen, um die Kunstwelt des gewählten Modells als Versprechung auf etwas Neues durchzuhalten.

16 Gleichwohl will ich zugestehen, dass solche mechanistische Argumentationsweise, die Arbeit in Dualismen, überhaupt für wissenschaftliches Arbeiten immer wieder charakteristisch wird, dass Hegel deshalb in seiner Verflüssigung des Denkens zugleich einen Anspruch formulierte, der uns  immer auch überfordert.

17 Als „Ekstase der Kommunikation“ (Baudrillard) erscheint der Gewinn schnell auch als Verlust. Vgl. Band 2, Kapitel IV.4.5.2.

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